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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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lang war ich ein krankes Kind und wartete darauf, daß meine Mutter mir Chaudeau ans Bett bringen werde. Gleich darauf schlief ich ein.
    Ich mußte sehr lange geschlafen haben, denn ich erwachte von Luchs' Gewinsel, und ich fühlte mich ganz gesund, aber sehr schwach. Ich stand auf und ging, nochein wenig taumelnd, meiner gewohnten Arbeit nach. Die Krähen fielen schreiend in die Lichtung ein und ich richtete meine Uhr auf neun. Seither zeigte sie Krähenzeit an. Ich wußte nicht, wie lange ich krank gewesen war, und strich, nach langer Überlegung, eine Woche vom Kalender ab. Seither stimmt auch der Kalender nicht mehr.
    Die nächste Woche war sehr hart und mühsam. Ich tat keinen überflüssigen Handgriff, aber ich blieb immer noch sehr müde. Glücklicherweise hatte ich noch ein halbes Reh eingefroren und mußte nicht weit vom Haus weggehen. Ich aß Äpfel, Fleisch und Erdäpfel und tat alles, um wieder zu Kräften zu kommen. Ein schreckliches Verlangen nach Orangen hatte mich überfallen, und der Gedanke, daß ich nie wieder Orangen haben würde, trieb mir die Tränen in die Augen. Meine Lippen waren wund und aufgesprungen und konnten in der Kälte nicht richtig heilen. Luchs behandelte mich immer noch wie ein hilfloses Kind, und wenn ich schlief, wurde er manchmal von Angst befallen und weckte mich. Die Katze lag weiterhin in meinem Bett und war recht zärtlich zu mir. Ich weiß nicht, war es Anhänglichkeit oder Trostbedürfnis. Sie hatte ja ihre Jungen verloren und war sterbenskrank gewesen.
    Ganz langsam kehrten wir alle zu unserem gewohnten Leben zurück. Nur Tigers kleiner Schatten verdüsterte die Freude an meiner Genesung. Ich glaube, wäre er nicht weggelaufen und die Katze nicht krank geworden, so hätte mir die Krankheit nichts anhaben können. Ich war schon oft durchnäßt nach Hause gekommen. Diesmal hatte mir aber jede Widerstandskraft gefehlt. Der Kummer hatte mich schwach und anfällig gemacht. Der Aufenthalt auf der Alm hatte mich ein wenig verwandelt, und die Krankheit setzte dieseVerwandlung fort. Allmählich fing ich an, mich aus meiner Vergangenheit zu lösen und in eine neue Ordnung hineinzuwachsen.
    Mitte Februar war ich so weit wiederhergestellt, daß ich mit Luchs in den Wald gehen und Heu holen konnte. Ich war sehr vorsichtig und achtete darauf, mich nicht zu sehr anzustrengen. Das Wetter blieb mäßig kalt, und das Wild schien gut durchzukommen. Ich hatte noch kein erfrorenes oder verhungertes Stück gefunden. Es war eine Freude, wieder gesund zu sein, die reine Schneeluft zu atmen und zu spüren, daß ich noch lebte. Ich trank viel Milch und litt mehr unter Durst als je zuvor. Durch besonders liebevolle Pflege suchte ich Bella und Stier zu entschädigen für die Angst und Bedrängnis, die sie wegen meiner Krankheit hatten durchmachen müssen. Aber die beiden schienen alles längst vergessen zu haben. Ich striegelte ihr Fell und versprach ihnen einen schönen langen Almsommer und brach leichtsinnigerweise Salzstückchen von meinen Lecksteinen und gab sie ihnen als Belohnung. Und sie rieben ihre Nüstern an mir und leckten meine Hände mit nassen, rauhen Zungen.
    Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, ist sie immer noch verdüstert von Tigers Verschwinden; fast war ich froh darüber, daß die jungen Katzen tot geboren wurden und mir eine neue Liebe und Sorge erspart geblieben war.
    Ende Februar verlangte Bella stürmisch nach Stier, und ich gab wieder nach und wagte einen neuen Versuch. Später stellte sich heraus, daß ich vergeblich gehofft hatte. Ich beschloß, endgültig bis Mai zu warten. Ich fühlte mich zu unsicher in dieser Angelegenheit, und sie wuchs sich zu einer dauernden Belästigung für mich aus. Stier wuchs immer noch und schien nicht unter der Kälte zu leiden. Sein Fell wurde dicht und ein wenig struppig,und sein großer Leib verbreitete immer ein wenig lauen Dunst rund um ihn. Vielleicht hätte Stier auch ganz im Freien überwintern können. Ich schloß natürlich immer von meinem eigenen schutzlosen Körper auf den der Tiere. Aber auch die Tiere verhielten sich ganz verschieden. Luchs ertrug Hitze und Kälte gleichermaßen gut, die Katze, die einen viel längeren Pelz hatte, haßte die Kälte und Herr Ka-au Ka-au, der doch auch eine Katze war, lebte in Eis und Schnee des Winterwaldes. Ich fror leicht, aber ich hätte es auch nicht ausgehalten wie Luchs, tagelang im warmen Ofenloch zu liegen. Und jedesmal, wenn ich eine Forelle im Tümpel stehen sah, lief es mir

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