Die Wanderapothekerin 1-6
die Nackenhaare aufstellten, und riss dann seine Augenbinde ab.
»Das hier habe ich dem jetzigen Baron Ludwig von Triberg zu verdanken! Er hat es mir ausgeschlagen, als er vom Feldzug zurückkam und seinen Vetter tot vorfand. Aber auch er hat bezahlt! Auf meine Worte hin hat ihn der alte Graf aus dem Schloss vertrieben und ihm seinen Namen genommen. Dann habe ich den Herrn erneut gebeten, mir Emma zu geben. Zuerst schien es, als würde er es tun. Doch auf einer Reise nach Frankfurt hat jemand ihm erzählt, weshalb Baron Ludwig mir das Auge ausgeschlagen hat, und da wollte er sich mit seinem Neffen versöhnen. Bevor es dazu kam, habe ich ihm ein Ende bereitet! Und danach habe ich einen Spross der gräflichen Familie nach dem anderen umgebracht, und nun ist Gräfin Griselda an der Reihe.«
»Du wirst nicht entkommen«, sagte Klara und spähte zu dem Schürhaken hin, der neben dem Kamin an der Wand lehnte.
»Oh doch, das werde ich! Aber ihr werdet das nicht mehr erleben.«
»Wenn das so ist, kannst du doch sagen, wer dich zum Mord an der Grafenfamilie angestachelt hat. Graf Ludwig kann es nicht gewesen sein. Das hast du eben selbst erklärt!«, sagte die Mamsell und trat einen Schritt vor.
Sofort bohrte sich Thomas’ Klinge tiefer in die Haut der Gräfin. »Gar nichts habe ich! Und jetzt bleib stehen.«
»Warum?«, fragte Klara. »Da du die Gräfin und uns alle töten willst, ist es gleichgültig, ob wir stehen bleiben oder nicht!« Sie näherte sich dem Kamin und spannte sich an, um so rasch wie möglich den Schürhaken zu erreichen.
Auch die Mamsell und Emma begriffen, dass sie etwas tun mussten, während Martha am Fenster stehen blieb und kurz hinausschaute. Draußen zog bereits die Abenddämmerung auf, trotzdem glaubte sie zu sehen, dass jemand raschen Schrittes auf das Schloss zukam. Zwar gab es in diesem Raum keine Tür zum Garten, aber ein gesunder, kräftiger Mann konnte das Fenster im Sprung erreichen. Doch dafür musste sie es öffnen.
»Ich kriege keine Luft mehr«, stieß sie hervor, taumelte ein wenig und riss das Fenster auf.
Um den Vorkoster zu täuschen, atmete sie mehrfach hastig ein. Nun konnte sie Baron Ludwig deutlich sehen. Er war nur noch wenige Schritte entfernt und würde das Fenster gleich erreichen.
»Du bist ein Schurke, Vorkoster Thomas!«, rief sie so laut, dass der Mann im Garten es hören musste. »Du hast die Grafenfamilie ermordet und Baron Ludwig um seinen Ruf gebracht. Aber Ihre Erlaucht wirst du nicht auch noch umbringen!«
Damit, so sagte sie sich, würde Ludwig von Triberg wissen, was sich hier abspielte.
Da Klara nichts von Marthas Begegnung mit dem Baron wusste, nahm sie an, dass diese den Vorkoster ablenken wollte. Als der Mann sich hasserfüllt ihrer Freundin zuwandte, griff sie nach dem Schürhaken, riss ihn hoch und schlug zu.
Thomas zuckte im letzten Augenblick zurück, musste aber die Gräfin loslassen. Bevor er sie wieder packen konnte, sprang Klara auf deren Bett und holte erneut aus. Diesmal prellte sie Thomas das Messer aus der Hand.
Der Vorkoster bückte sich sofort und hob die Waffe mit der Linken auf. »Das hast du nicht umsonst getan, du Biest«, brüllte er außer sich vor Wut.
Inzwischen hatte Baron Ludwig das Fenster erreicht. Kurzentschlossen klemmte er sich seinen Gehstock zwischen die Zähne, schnellte hoch und fasste den Fensterrahmen mit beiden Händen.
Martha half ihm in den Raum und wies auf den Vorkoster. »Das ist der Mörder.«
Nun wurde Thomas auf den Baron aufmerksam und fluchte. »Dich hat der Teufel gerufen!«
Gleichzeitig sprang er auf Triberg zu, um ihm das Messer in die Brust zu rammen. Doch bevor er ihn erreichte, hatte der Baron seinen Stockdegen gezogen und wehrte ihn mit einem Hieb ab.
Der Vorkoster kreischte, weil die Klinge seinen Arm aufriss, und als der Baron seine Waffe erneut schwang, floh er, immer noch schreiend, durch die offene Tür.
»Ihr bleibt bei Ihrer Erlaucht!«, rief Ludwig von Triberg den Frauen zu und setzte dem Mörder nach.
Während die Mamsell und die Zofe gehorchten, rannten Klara und Martha hinter den beiden Männern her. Sie sahen, dass der Vorkoster in den Dienertrakt einbog, dort eine Tür aufriss und in die Kammer stürmte.
Baron Ludwig blieb vor der Tür stehen und hielt seinen Stockdegen kampfbereit. »Ergib dich, Thomas, und gestehe, wer dich zu diesen Morden angestiftet hat! Von selbst hättest du das niemals getan. Dafür bist du nicht klug genug«, rief er und erhielt ein gequältes
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