Die Wanderapothekerin 1-6
Wirt erzählte. An Schneidts Stelle hätte er auf der Stelle kehrtgemacht und wäre der Spur seines Neffen von hier aus gefolgt, anstatt eine Woche lang den Herrgott einen guten Mann sein zu lassen. Doch auf seine Nachfragen bestätigte ihm der Wirt, dass Alois Schneidt von dem Gasthaus aus in Richtung Heimat weitergezogen wäre. Nun bedauerte Tobias, dass er nicht schon im letzten Jahr diese Strecke überwacht hatte. Er hätte nicht eher aufgegeben, bis Gerolds Schicksal aufgeklärt gewesen wäre.
Alois Schneidt war ein eigenartiger Mensch, mit dem man so leicht keine Freundschaft schloss, und Tobias erinnerte sich, dass es auch nicht viel Liebe zwischen den beiden Brüdern gegeben haben sollte. Wahrscheinlich war eine Menge Neid mit im Spiel gewesen. Immerhin hatte Martin Schneidt seinen älteren Bruder in jedem Jahr bei den Verkäufen übertroffen. Da Alois gerne auf größerem Fuß lebte, musste es diesen gefuchst haben, hinter Martin zurückzustehen.
Das war jedoch eine Sache, die nun keine Bedeutung mehr besaß. Martin Schneidt war von seiner Strecke nicht zurückgekehrt, ebenso wenig sein Sohn, und nun war auch Klara schon mehrere Tage überfällig. Tobias hoffte, dass ihr nicht mehr passiert war als ein paar Blasen an den Füßen, so dass sie langsamer gehen musste. Doch wenn sie bis zum nächsten Abend nicht aufgetaucht war, würde er sie suchen.
Mit diesem Gedanken ließ er sich einen weiteren Krug Bier füllen. Während er trank, blickte er durch das offene Fenster und sah Alois Schneidt herankommen. Auch wenn er den Mann nicht besonders mochte, war er doch erleichtert. Nun konnte Schneidt den Marktstand übernehmen und er sich bereits morgen auf die Suche nach Klara begeben.
12.
A ls Alois Schneidt in die Gaststube trat und Tobias an einem Tisch sitzen sah, verzog er das Gesicht. Es passte ihm gar nicht, dass der junge Bursche ihm und Klara immer noch folgte. Von seiner Nichte war jedoch nichts zu sehen.
»Guten Tag, Herr Tobias«, grüßte er und stellte sein Reff ab. »Verdammt heiß heute! Da wäre ein Becher Wein nicht verkehrt.«
»Tut es Bier auch?«, fragte Tobias und forderte die Schankmaid auf, Schneidt einen vollen Krug zu bringen.
»Zum Wohlsein!«, sagte er, als der andere den Krug in der Hand hielt, und stieß mit ihm an.
»Auf Euer Wohl und das Eures Herrn Vaters«, antwortete Schneidt und dachte daran, dass das Gold seines toten Bruders ihn ebenfalls zu einem wohlhabenden Laboranten machen würde. Das hätte er schon damals nach dem Auffinden des Schatzes haben können, doch da war er noch zu jung und unbedarft gewesen. Mittlerweile wusste er, worauf es ankam. Zwischen ihm und dem Gold stand nur noch Klara, und wenn er dieses sture kleine Biest beseitigen wollte, konnte er den Laborantensohn dabei nicht gebrauchen.
»Wo ist eigentlich meine Nichte?«, fragte er mit einer gewissen Anspannung. »Sie müsste doch längst hier sein. Immerhin war ihre Strecke diesmal um einiges kürzer als die meine.«
»Klara ist noch nicht angekommen«, sagte Tobias und wunderte sich, dass Schneidts Miene sich bei seinen Worten aufzuhellen schien.
»Noch nicht hier? Ihr wird doch nicht etwas zugestoßen sein!« Noch während er es sagte, hoffte Schneidt, das Schicksal hätte ihn von seiner Nichte befreit. Dies würde die Sache für ihn um einiges leichter machen. Da er jedoch so tun musste, als würde er sich um Klara sorgen, seufzte er schwer.
»Es darf nicht sein, dass meine Nichte auch noch verschwindet wie mein Bruder und mein Neffe!«
Mit einem weiteren Seufzer hob Alois Schneidt den Krug an die Lippen und trank. Erst als Tobias wieder zum Fenster hinausschaute, stellte er den Krug zurück auf den Tisch und setzte sich dann so auf die Bank, dass sein Gesicht nicht mehr von dem Licht beschienen wurde, das durch das Fenster fiel. Er wollte nicht Gefahr laufen, dass ihm der Laborantenbengel die Gefühle, die ihn durchtobten, vom Gesicht ablesen konnte.
»Da Klara noch nicht hier ist, werde ich den Marktstand aufbauen müssen«, sagte er und versuchte zu verbergen, wie sehr ihm das entgegenkam.
»So wird es wohl sein«, erwiderte Tobias. »Sag mir, was du dafür und für deinen weiteren Weg brauchst. Ich gebe es dir gleich heute Abend, damit ich mich morgen auf den Weg machen kann, um Klara zu suchen.«
»Da fällt mir aber ein Riesenstein vom Herzen«, log Schneidt. »Wisst Ihr, Herr Tobias, ich will nicht nach Hause kommen und meiner Schwägerin berichten müssen, dass auch ihre älteste
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