Die Wanderapothekerin 1-6
später erreichte er das erste Dorf auf dem Weg, den Klara nehmen musste, um nach Michelstadt zu gelangen, und fragte einen Bauern auf dem Feld nach ihr. Der Mann sah ihn an, kratzte sich dann im Genick und schüttelte den Kopf.
»Eine Frau mit einem Traggestell auf dem Rücken habe ich die letzten Tage nicht gesehen. Die Letzte war die Hökerin Berthe, aber das ist schon zwei Wochen her, und sie ist auch nicht mehr so jung wie die, die Ihr sucht, junger Herr. Sie muss die fünfzig bald überschritten haben – die Berthe, meine ich.«
»Schon gut!«, bremste Tobias seinen Redeschwall. »Klara ist also hier noch nicht gewesen. Daher werde ich sie weitersuchen. Gott befohlen!«
»Gott befohlen!«, antwortete der Bauer und sah hinter Tobias her, der versuchte, seinen behäbigen Wallach zu einer schnelleren Gangart zu bewegen.
Auch in den nächsten Dörfern fand Tobias nicht die geringste Spur von Klara, und seine Sorge wuchs. Schließlich erreichte er jene Stelle, von der mehrere Wege in einsame Seitentäler abzweigten. Nun galt es für ihn, den richtigen zu wählen. Er behalf sich mit einem Abzählreim und ritt los. Schon bald brach die Nacht herein, und so blieb ihm und seinem Begleiter nichts anderes übrig, als im Wald ein Lager aufzuschlagen. Missmutig suchten sie einen Bach, an dem die beiden Pferde saufen konnten und es auch ein wenig Gras gab, banden ihre Reittiere an einen Baumstamm und entzündeten ein kleines Lagerfeuer. Zum Glück hatte der Pferdeknecht sie mit Vorräten versorgt, so dass sie nicht hungern mussten.
Als Tobias sich etwas später auf ein Bett aus Blättern legte, die im letzten Jahr abgefallen waren, stieg ihm ein modriger Geruch in die Nase. Seinen Hirschfänger legte er neben sich, um sich gegen mögliche Räuber oder wilde Tiere wehren zu können, und sah dann zu den Sternen empor, die in den Lücken im Blätterdach blinkten. Er fand sein Lager so unbequem, dass er sich selbst bedauerte. Dann aber dachte er daran, dass Klara wohl auch das eine oder andere Mal unter freiem Himmel würde schlafen müssen, und schämte sich. Sie war ein junges Mädchen und hatte ein besseres Los verdient, als mit dem schweren Reff auf dem Rücken durch die Lande zu ziehen.
Mit diesem Gedanken schlief er schließlich ein. Der anstrengende Ritt forderte seinen Tribut, und so wachte er nicht auf, als früh am Morgen ganz in seiner Nähe leichte Schritte aufklangen. Klara und Martha hatten wenig mehr als fünfhundert Schritte von ihm entfernt im Wald übernachtet und sich zeitig wieder auf den Weg gemacht.
Mit einem Mal hörten die beiden Mädchen ein Pferd wiehern und blieben stehen. »Das war ganz nahe!«, fand Martha. »Wer kann das sein?«
»Ich glaube nicht, dass wir das erkunden sollten«, antwortete Klara und ging weiter.
»Hat er denselben Weg wie wir, wird er uns bald einholen, und wenn nicht, ist es auch gut«, meinte Martha. Es klang bedauernd, denn ihre Neugier war stärker ausgeprägt als die von Klara, aber auch sie wollte weder einem Räuber noch einem entlaufenen Soldaten begegnen.
Ohne zu ahnen, wie knapp er Klara verpasst hatte, wachte Tobias eine halbe Stunde später auf. Sein Begleiter wusch sich bereits am Bach. Als er Tobias sah, sagte er: »Wollen wir hoffen, dass wir heute die Frauenzimmer finden oder zumindest eine brauchbare Schenke. Wir haben nämlich nur Wasser zu trinken, und zum Frühstück gibt es einen Rest Brot.«
Tobias nickte entsagungsvoll und machte morgendliche Katzenwäsche. Als sie nach einer Weile losritten, wünschte er sich, rasch auf Klara zu treffen und ihr wirklich den Hintern zu versohlen.
Mit jeder Viertelmeile, die sie zurücklegten, wurde seine Laune schlechter. Gegen Mittag erreichten sie ein Dorf weit abseits jeder Handelsstraße, das höchstens zwei-, dreimal im Jahr von einem Kiepenhändler und noch seltener von einem Wanderapotheker aufgesucht wurde. Die Bewohner musterten ihn und seinen Begleiter verwundert, denn wer hierherkam, konnte nur zu ihnen wollen. Der Weg, der weiter über die Höhen führte, war für Pferde zu beschwerlich und der Wald um sie herum zu dicht.
»Gottes Gruß!«, begann Tobias und hob die Hand zum Zeichen, dass er in friedlicher Absicht kam.
»Gott zum Gruß!«, antwortete ein vierschrötig aussehender Mann.
»Ich bin auf der Suche nach einer jungen Frau, die als Wanderapothekerin durch die Lande zieht«, erklärte Tobias.
»Was willst du von ihr?«, fragte der andere misstrauisch.
Tobias atmete tief durch und
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