Die Wanderapothekerin 1-6
euch, und das ist weit mehr, als euer Oheim euch lassen würde. Außerdem könntet ihr das Geld offen ausgeben und müsstet es nicht heimlich tun, wie Alois Schneidt es mit seinem Anteil getan hat.«
»Du hast einen klugen Kopf auf den Schultern, Tobias«, lobte Gerold seinen Freund. »Ich werde einen Brief an Mutter schreiben, dass sie dir voll und ganz vertrauen kann, und ihn dir mitgeben.«
»Gib ihn besser Klara mit«, riet ihm Tobias. »Ich verspreche dir aber, in deinem Sinne zu handeln und alles zu tun, damit der Schatz euch trotz allem noch Segen bringt. Was wirst du mit deinem Anteil tun?« Tobias wollte seinem Freund vorschlagen, mit ihm in die Heimat zurückzukehren und sich dort an dem Unternehmen seines Vaters zu beteiligen. Dann würde er selbst Klara heiraten können. Wenn sie ihn überhaupt wollte, schränkte er ein. Doch bevor er etwas sagen konnte, lächelte Gerold versonnen.
»Ich werde das Bürgerrecht dieser Stadt erwerben und den Apotheker Pulver fragen, ob er mich als Lehrling in seiner Apotheke aufnehmen will. Vielleicht könnte ich sogar Lisa bitten, mich zu heiraten. Sie ist ein Engel! Keine andere hätte all das für mich getan!«
Die Augen des jungen Mannes leuchteten bei diesen Worten, und Tobias wünschte ihm Erfolg bei Vater und Tochter. Eines aber setzte er für sich hinzu: Es gab noch ein zweites Mädchen auf der Welt, das sich ebenso um einen Schwerverletzten kümmern würde, und das war Klara. In diesem Augenblick wünschte er sich beinahe eine Wunde, damit sie ihn pflegen musste.
3.
T obias und Gerold vergaßen über ihr Gespräch die Zeit. Es wurde dunkel, doch keiner von ihnen dachte daran, eine Lampe anzuzünden. Erst als die Haustür ging und Schritte zu hören waren, schreckte Gerold hoch.
»Das muss Herr Pulver sein!« Rasch suchte er nach dem Feuerzeug, schlug einen Funken und schaffte es gerade noch rechtzeitig, die kleine Öllampe zu entfachen, der Pulver den Vorzug vor Kerzen gab.
Fast gleichzeitig wurde die Tür geöffnet, und ein mittelgroßer Mann in einem sauberen braunen Rock und gleichfarbigen Kniehosen schaute herein. »Ich dachte mir doch, dass ich Stimmen gehört habe«, sagte er und bedachte Tobias mit einem prüfenden Blick.
»Das ist mein Freund Tobias Just, Herr Pulver. Er war auf der Suche nach mir!«
Dies erschien Gerold die einfachste Erklärung für Tobias’ Anwesenheit.
Tobias erhob sich und deutete vor Pulver eine Verbeugung an. »Ich danke Euch von Herzen, dass Ihr Euch meines Freundes angenommen habt. Sollten dabei Ausgaben auf Euch zugekommen sein, werde ich sie selbstverständlich ersetzen.«
Mit einer nachlässigen Handbewegung winkte der Apotheker ab. »Man soll Mitleid und Hilfsbereitschaft nicht mit Geld aufwiegen, Herr Just. Gerold brauchte Hilfe, und meine Tochter und ich gaben sie ihm gerne!«
Jetzt sah Tobias auch Lisa. Sie spähte nun über die Schulter ihres Vaters, um zu sehen, wer Gerolds Gast war. Im ersten Augenblick kam sie ihm gewöhnlich vor. Mittelgroß und von draller Gestalt, hatte sie ein rundliches Gesicht mit Sommersprossen und blondem Haar. Doch als er in ihre blauen Augen blickte, las er darin so viel Sanftmut und Liebe, dass er sich seines ersten Eindrucks schämte. Lisa Pulver mochte keine Schönheit sein, doch sie war eine Frau, wie ein Mann sie sich zur Gefährtin nur wünschen konnte.
»Ich danke auch Euch, mein Fräulein«, wandte Tobias sich nun an sie.
»Lasst bitte das Fräulein weg«, antwortete Lisa lächelnd. »Ich bin des Pillendrehers Tochter, wie Burghauptmanns Brigitte zu spotten pflegt. Doch ich liebe meinen Vater gewiss mehr als sie den ihren!«
Unterschätzen sollte man das Mädchen nicht, fuhr es Tobias durch den Kopf. Trotz ihrer Sanftmut wusste sie die, die sie liebte, auch zu verteidigen. Er lachte leise, bevor er Antwort gab. »Da haben wir etwas gemeinsam, Jungfer Lisa. Ich bin eines Salbenmischers Sohn, und Gerold hat drei Jahre jeden Winter bei uns mitgeholfen, diese Salben herzustellen.«
»Er versteht einiges von Heilpflanzen«, warf der Apotheker anerkennend ein.
Tobias sah, wie Lisas Gesicht mit liebevollem Stolz auf Gerold ruhte, und sagte sich, dass das Mädchen seinen Vater mit sanfter Hartnäckigkeit irgendwann davon überzeugen würde, Gerold als Schwiegersohn zu akzeptieren. Und er selbst würde dafür Sorge tragen, dass der Freund nicht mit leeren Händen dastand.
Vor allem anderen aber musste er Klara finden, bevor sie ihrem mörderischen Onkel zum Opfer fallen
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