Die Wanderapothekerin 1-6
strich.
»Wenn Ihr hinterher noch einen Wunsch habt, dürft Ihr ihn ruhig äußern«, sagte sie mit lockender Stimme.
Zu anderen Zeiten wäre Tobias vielleicht auf dieses Angebot eingegangen. Nun aber schob sich Klaras Gesicht in seine Gedanken, und er schüttelte den Kopf.
»Ich bin müde und muss morgen in aller Frühe weiter!«
»Schade!«, sagte die Magd und ging zum nächsten Gast, von dem sie hoffte, er würde ihr ihre Nachgiebigkeit mit ein paar Münzen vergelten.
4.
A ls Alois Schneidt die Türme von Gernsbach vor sich sah, kam die Anspannung in doppelter Heftigkeit zurück. War es ihm gelungen, die Räuber Galljockel und Knüppelpeter auf Klara zu hetzen?, fragte er sich. Wenn ja, war auch das letzte Hindernis, das zwischen ihm und dem Schatz seines Bruders lag, beseitigt. Die Schwägerin würde sich nicht mehr sträuben können und ihm das Gold aushändigen. Mit ihren beiden kleinen Kindern durfte sie froh sein, wenn sie überhaupt genug zu essen hatten. Schneidt stach auch das schöne Anwesen seines Bruders ins Auge. Oder sollte er ein neues Haus auf eigenem Grund errichten lassen?
Während er auf das Stadttor zuschritt, gingen ihm alle möglichen Überlegungen durch den Kopf. Am Tor angekommen, sprach er die Wachen an. »Gott zum Gruß! Da bin ich wieder, wie alle Jahre.« Aber auch zum letzten Mal, setzte er für sich selbst hinzu.
»Grüß dich, Schneidt! Bist wieder weit gewandert, was? Aber jetzt hat’s ein End. Nun musst du nur noch hier auf den Markt, dann kannst du wieder heim!«
Die Torwächter kannten Alois Schneidt seit vielen Jahren und ließen ihn sofort ein, während sie zwei wandernde Handwerksburschen einem scharfen Verhör unterzogen.
Schneidt ging weiter zu Bollands Wirtschaft und setzte sich dort an den gewohnten Tisch. »Einen kleinen Krug Wein und ein Stück Braten, wenn es genehm ist«, sagte er zu dem Wirt.
Dieser lachte nachsichtig. »Erst einmal grüß Gott, Schneidt. Den Wein und den Braten kriegst du gleich. Hast wohl heuer besonders gute Geschäfte gemacht?«
»Nein, leider noch schlechtere als im letzten Jahr«, sagte Schneidt und bedauerte, dass er nicht an Klaras Geld gekommen war. In den letzten zwei Jahren hatte ihm das Geld, das er seinem Bruder und ein Jahr später seinem Neffen abgenommen hatte, ein angenehmes Leben ermöglicht. Klaras Beutel war sogar noch besser gefüllt gewesen. Doch dieses Geld würden nun der Galljockel und der Knüppelpeter für Bier, Wein und schlechte Weiber ausgeben.
»Ich habe noch weniger eingenommen als im letzten Jahr«, wiederholte er. »Trotzdem lasse ich mich nicht verdrießen und feiere wie immer das Ende meiner Wanderschaft.«
»Mir soll’s recht sein!«, meinte der Wirt lachend. »Denn an dir habe ich immer mehr verdient als an deinem Bruder. Wer hat eigentlich heuer dessen Strecke übernommen, nachdem dein Neffe letztes Jahr nicht angekommen ist? Ich glaube nicht, dass Rumold Just einem so pflichtvergessenen Burschen noch einmal seine Arzneien anvertraut.«
»Gerold ist leider nicht nach Hause gekommen. Entweder ist er Räubern zum Opfer gefallen oder mit den Soldaten gezogen.«
Schneidt bemühte sich, eine betrübte Miene zu ziehen. Dann aber wandte er sein Augenmerk dem Wein zu, den die Wirtstochter ihm hinstellte. Als kurz darauf der Braten kam und dazu ein schönes Stück weißen Brotes, war er mit Gott und der Welt zufrieden.
Während Schneidt aß, setzte sich der Wirt zu ihm. Seine Miene wurde auf einmal ernst. »Es wird dich nicht freuen, aber man hat deinen Bruder gefunden – oder besser das, was die Tiere des Waldes von ihm übrig gelassen haben.«
»Was?« Schneidt bemühte sich, erschrocken zu klingen. »Bis jetzt hatte ich ja noch die Hoffnung, dass Martin zurückkehren würde. Was ist ihm denn zugestoßen?«
»Ist wohl Räubern in die Hände gefallen und lag bis zum heurigen Frühjahr an einem versteckten Ort. Wurde nur gefunden, weil die Bracke eines dort ansässigen Gutsherrn entlaufen ist und ihr Wärter sie gesucht hat. Deinen Bruder hat man anhand der Reste seiner Tracht und an seinem zerbrochenen Traggestell erkannt. Sie haben mir seine Gürtelschnalle gezeigt. Hatte sie ja oft genug gesehen, um sagen zu können, dass sie ihm gehört.«
»Das ist eine schlimme Nachricht!«
Vor allem für seine Schwägerin, dachte Schneidt. Sie würde zusammenbrechen, wenn sie das hörte. Damit war der Weg zu dem Gold für ihn endgültig frei.
»Ich habe die Tochter zum Kloster geschickt. Bald wird ein
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