Die Wanderapothekerin 2: Aufbruch (German Edition)
und Tag aufgebrochen ist und nicht einmal mehr die Morgensuppe bei mir gegessen hat.«
Wenn die Morgensuppe genauso schmeckt wie der Eintopf, kann ich Vater verstehen, dachte Klara und spürte, wie die Tränen in ihr aufsteigen wollten. Seit anderthalb Jahren wurde ihr Vater vermisst, seit einem halben Jahr ihr Bruder. Nun klammerte sie sich an die Hoffnung, man könnte beide zu den Soldaten gezwungen haben. Der Franzosenkönig Ludwig sollte, wie sie gehört hatte, Krieg gegen das Reich führen, und Kaiser Karl – der sechste seines Namens – brauchte immer mehr Soldaten, um dem Feind widerstehen zu können.
Ihre betrübte Miene rührte Tobias, und er fragte sich, ob er ihr nicht doch beistehen sollte, ihre Aufgabe zu bewältigen. Zwar glaubte sein Vater, Klara würde bereits nach wenigen Tagen begreifen, dass sie als Wanderapothekerin ungeeignet war, und nach Hause zurückkehren. Doch der Gedanke, dass sie sich dann als nutzlos und gescheitert ansehen würde, gefiel ihm ganz und gar nicht.
»Du musst morgen in aller Frühe zum Markt gehen, damit du einen guten Platz findest«, sagte er zu ihr, um ihr Grübeln zu beenden.
Während Klara nickte, holte ihr Onkel mit einer raumgreifenden Geste aus. »Der Frühjahrsmarkt hier hat mir stets gute Einnahmen beschert. Meinem Bruder ging es, wenn er an der Reihe war, nicht anders. Die erste und die letzte Stadt sind die einzigen Orte, die wir uns auf unseren Strecken geteilt haben. Wenn der eine hier anfing, konnte der andere seine Sachen auf dem Markt in Gernsbach verkaufen. Wenn mein Bruder noch Reste übrig hatte, übergab er sie mir, und ich konnte sie dort loswerden. Keiner von uns musste je auch nur ein einziges Salbentöpfchen mit nach Hause zurückbringen.«
Alois Schneidt verschwieg, dass sein Bruder unterwegs so gut wie alles verkauft hatte und dessen Reff in den jeweiligen Marktstädten leer gewesen war. Er hingegen hatte immer genug übrig behalten, um es dem Bruder für die Märkte zu übergeben. Ärgerlich für ihn war nur gewesen, dass er dem Bruder dafür die Hälfte des Gewinns hatte überlassen müssen.
Klara kannte die Geschichte von der Warte ihres Vaters aus und zog eine verächtliche Miene. Auch wenn ihr Onkel nun sein Geschick als Wanderapotheker kräftig herausstrich, so hatte er doch stets im Schatten ihres Vaters gestanden. Mit dem festen Vorsatz, diesem nachzueifern, lehnte sie sich zurück und hoffte, dass die Zecher bald nach Hause gehen würden, damit sie sich schlafen legen konnte.
5.
D ie Nacht war grauenhaft. Wegen des Marktes waren viele Menschen nach Kronach gekommen, und nicht wenige davon übernachteten in diesem Gasthaus. Klara hatte man deswegen einen Winkel ganz hinten bei mehreren anderen Frauen zugewiesen. Trotzdem bekam sie die Unruhe, das Gemurmel und vor allem das Schnarchen einiger betrunkener Männer so stark mit, als läge sie zwischen diesen. Eine der Frauen jammerte wegen des Lärms, und eine andere betete so laut, dass Klara schon deswegen nicht einschlafen konnte.
Sie hatte ihren Weg als Wanderapothekerin nicht einmal richtig angetreten, da sehnte sie sich bereits nach ihrem Bett zu Hause und danach, in den Wald zu gehen und Kräuter zu sammeln. Sogar Holz hätte sie nun mit Begeisterung gehackt. Stattdessen würde sie am nächsten Morgen ihr Reff als Marktstand benutzen und versuchen, so viele Salben und Essenzen wie möglich zu verkaufen. Da sie schon mit frischen Kräutern und getrockneten Pilzen auf dem Markt in Königsee gehandelt hatte, glaubte sie sich dafür gerüstet.
Mit diesem Gedanken schlief sie schließlich doch ein und wachte am Morgen wie zerschlagen auf. Der strenge Geruch in der Gaststube brachte sie dazu, einen der Fensterläden aufzustoßen und erst einmal durchzuatmen. Einige Männer standen bereits am Brunnen und wuschen sich. Bisher hatte sie unterwegs einen Eimer frisches Wasser in einen leeren Raum gestellt bekommen. Diesen Luxus bot die hiesige Wirtin nicht, sondern wies mit einer knappen Geste auf den Hof. »Wenn du dich waschen willst, kannst du es wie die Mannsleute am Brunnen tun. Keine Angst, die schauen dir schon nichts ab!«
Tobias vernahm es und wartete gespannt auf Klaras Entscheidung. Würde sie sich bis zur Taille ausziehen und sich neben den Männern waschen, so wie es einige der anderen Weiber machten, oder war sie zu schamhaft dafür? Das Letztere war der Fall, denn Klara wusch sich nur kurz Gesicht und Hände und kehrte dann in die Gaststube zurück.
Dort teilte die
Weitere Kostenlose Bücher