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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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den Ausgang der Geburt ankommen, wann er wieder bereit ist, mit Euch zu reden. Wollt Ihr Euren Vater tagelang im Ungewissen lassen?«
    Das wollte Philipp allerdings nicht, und da er hier so schnell keine Magd finden würde, die seine Bedürfnisse befriedigte, stimmte er brummend zu. Der Mönch half ihm in seinen Mantel, hielt ihm diensteifrig die Handschuhe hin und rief gleichzeitig nach einem Stallknecht, der dem Junker ein frisches Pferd satteln sollte. Er begleitete Philipp sogar bis zum äußeren Tor und sah ihm nach, bis die Dämmerung ihn verschluckt hatte. Dann kehrte er in die Halle zurück.
    Vor der Treppe blieb Jodokus einen Moment stehen und lauschte den Geräuschen, die aus der Kemenate der Herrin herabdrangen. Dort oben nahm Frau Mechthild nun alle Aufmerksamkeit in Anspruch. Auch der Herr würde an nichts anderes mehr denken können als an sie. Der Mönch war sich sicher, dass Ritter Dietmar im Augenblick nicht für Maries Reize empfänglich war, und stellte sich vor, wie es sein würde, die junge Hure zu besitzen. In den Nächten träumte er von Marie, und am Tag raste er beinahe vor Verlangen nach ihr. Nur ihretwegen weilte er überhaupt noch auf der Burg. Dabei hätte er längst seinen Auftrag erfüllen und heimlich verschwinden müssen.
    Jodokus brannte die Zeit unter den Nägeln. Wenn er Erfolg haben wollte, musste er in den nächsten Stunden zuschlagen. Einezweite Gelegenheit würde es kaum mehr geben. Doch wenn er in dieser Nacht verschwand, riskierte er, Marie nie wiederzusehen. Diese Vorstellung brachte ihn fast dazu, seine Pläne aufzugeben. Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Wenn er jetzt nicht handelte, war sein Traum vom Reichtum ganz sicher ausgeträumt. Er wusste genug über die junge Hure, um sie wiederfinden zu können. Und wenn heute alles gut ging, würde der Tag kommen, an dem sie ihm ganz allein gehörte.
    Lautlos stieg der Mönch die Treppe zum Obergeschoss hoch und huschte wie ein Schatten den Korridor entlang. Vor der Tür der Burgherrin blieb er einen Moment stehen und lauschte ihren Schreien und den aufgeregten Stimmen der Mägde im Vorzimmer. Das hörte sich nicht gut an. Wahrscheinlich verlor der Ritter in dieser Nacht sein Weib und sein noch ungeborenes Kind.
    Im ersten Moment wollte Jodokus ein kurzes Gebet sprechen, dann aber sagte er sich, dass ihn das Schicksal der Frau nicht berühren durfte, und eilte weiter. Kurz darauf erreichte er die Tür der Kammer, in der Ritter Dietmar die Dinge aufbewahrte, die ihm lieb und teuer waren. Vier Personen besaßen den Schlüssel zu der doppelt beschlagenen Tür aus Eichenholz, der Burgherr, die Herrin, Burgvogt Giso und er selbst als Schreiber und Vertrauter des Ritterpaares.
    Der Mönch zog seinen Schlüssel unter der Kutte hervor und steckte ihn ins Schlüsselloch. Im selben Augenblick stürzte eine Magd aus Frau Mechthilds Kemenate und rannte mit aufgelösten Haaren an ihm vorbei. Obwohl sie nicht auf ihn achtete, erschrak Jodokus bis ins Mark. Er presste sich gegen das Holz, wartete, bis die Magd verschwunden war, schloss mit zitternden Händen die Kammer auf und schlüpfte hinein. Um kein Aufsehen zu erregen, zog er die Tür nur hinter sich zu, lehnte sich einen Moment gegen das Holz und holte tief Luft. Dann trat er an eine silberbeschlagene Truhe mit drei Schlössern, die etwas abseitsin einer Wandnische stand. Ursprünglich hatte Jodokus nur einen der drei Schlüssel besessen, doch es war ihm nicht schwer gefallen, die beiden anderen für kurze Zeit an sich zu bringen und Wachsabdrücke von ihnen anzufertigen. Bei einer Reise ins Kloster St. Ottilien hatte er einen Gewährsmann getroffen und von ihm auf dem Rückweg perfekte Kopien der anderen Schlüssel erhalten.
    Er öffnete die Schlösser und hob den Deckel vorsichtig an, denn die ungeölten Scharniere der Truhe quietschten bei weiterer Öffnung so laut, dass man es bis in die Halle hören konnte. Seine kundige Hand ertastete die Lederhülle mit Ritter Otmars Testament und zog sie heraus. Er entfernte die silberne Kapsel und breitete das Leder vor sich aus. Dann nahm er ein kleines Glasfläschchen aus einem Beutel, der an seinem Gürtel hing, und zog den Stöpsel. Vorsichtig goss er den Inhalt des Fläschchens über den Vertrag, faltete die Hülle wieder zusammen, sicherte sie, damit sie nicht auseinander fiel, und legte sie in die Truhe zurück.
    Seine Hände bebten so, dass er es kaum fertig brachte, die drei Schlösser wieder zu verschließen.

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