Die Wanderhure
Wenn man jetzt entdeckte, was er getan hatte, war es um ihn geschehen. Er lauschte kurz an der Tür und trat, als er niemand über den Flur gehen hörte, aus der Kammer, die er schnell, aber sorgfältig hinter sich abschloss. Kurze Zeit später verließ er Burg Arnstein durch eine Nebenpforte und schritt hurtig aus, um so bald wie möglich Burg Felde zu erreichen.
IX.
A ls Marie Frau Mechthilds Kemenate erreichte, lag die Herrin mit zusammengepressten Augen und verkrampften Händen auf ihrem Bett und schrie vor Schmerzen. Trotzdem schien sie wahrzunehmen,was um sie herum vorging, denn als Marie sich über sie beugte, krallte sie die Hand in ihre Schulter und sah sie mit angstgeweiteten Augen an.
»Du musst meinen Gemahl beruhigen. Ich will nicht, dass er sich zu große Sorgen um mich macht. In der letzten Zeit ist mehr über ihn hereingebrochen, als auch der Tapferste ohne Gottes Hilfe ertragen kann.«
Marie breitete hilflos die Hände aus. »Aber ich kann ihn doch nicht ins Bett locken, während es hier um Euer Leben geht!«
Guda trat neben sie und packte Maries andere Schulter. »Geh, Mädchen, und tu, was die Herrin dir befohlen hat. Wenn der Herr nicht mit dir schlafen will, füllst du ihn mit Wein ab. Nur halte ihn in Gottes Namen von hier fern.«
»Also gut, ich versuche es.« Als Marie zur Bestätigung noch einmal nickte, ließ die Herrin sie los.
»Sag ihm, dass ich ihn sehr geliebt habe, wenn ich nicht …« Frau Mechthild bäumte sich auf, so dass der Rest des Satzes ungesagt blieb, doch Marie verstand sie auch so. Rasch verließ sie den Raum, in dem die Mägde wie ein nervöses Hühnervolk hin und her eilten, obwohl es kaum noch etwas für sie zu tun gab, und schlüpfte durch die Seitentür im Vorraum, die in Ritter Dietmars Gemach führte. Der Burgherr stand neben der Tür an der Wand und starrte ihr entgegen, als hätte er den Gottseibeiuns zu sehen erwartet.
Marie hob bittend die Hände. »Die Herrin schickt mich zu Euch. Ich soll mich um Euch kümmern.«
»Ich werde den Teufel tun und mich mit einer Hure im Bett herumwälzen!«, fuhr er sie an.
Marie glitt an ihm vorbei, hob den Pokal auf, der über den Boden gerollt war, und wischte ihn mit einem Tuch ab. Dann schenkte sie ihm mit zitternden Händen frischen Wein ein. »Trinkt, Herr. Es wird Euch gut tun. Natürlich ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für eine Balgerei im Bett. Wir sollten niederknien und dieHeiligen anflehen, Frau Mechthild in ihrer schweren Stunde beizustehen.«
Ritter Dietmar trank den Pokal in einem Zug aus, als wäre er mit Wasser und nicht mit schwerem Wein gefüllt. Das Wort Gebet drang jedoch in sein umnebeltes Gehirn, und er nickte zustimmend. »Ja, beten wir, Hure, damit Gott meinem Weib gnädig ist. Jesus hat ja auch Maria Magdalena gesegnet. Vielleicht hört er nun auf dich.« Mit diesen Worten kniete er mitten im Zimmer nieder und faltete die Hände. Marie tat es ihm nach und stimmte ein Gebet an.
Mühsam kroch die Zeit dahin, während Marie ihre Erinnerungen nach den passenden Gebeten für eine Gebärende durchforstete und sie dem Ritter vorsprach. Dabei horchte sie auf die Laute, die aus den Nebenräumen drangen, in der Hoffnung, jeden Moment die Jubelrufe und Lobpreisungen zu vernehmen, die eine glückliche Geburt begleiteten. Doch sie hörte immer nur leise Rufe, das Trappeln vieler Füße und die alles übertönenden Schreie der Gebärenden, die schauerlich durch die dicken Mauern hallten. Ritter Dietmar zuckte jedes Mal zusammen, wenn er die Stimme seiner Frau vernahm, und presste die Fäuste auf seinen Bauch, als empfinde er selbst den Schmerz, den sie ertragen musste. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er sprang auf und eilte zur Tür. Marie versuchte, ihn zurückzuhalten, doch er stieß sie beiseite. An der Tür lief er Giso in die Arme, der selbst mit seiner Hünengestalt Mühe hatte, ihn festzuhalten und ins Zimmer zurückzudrängen.
Dietmar schrie seinen Gefolgsmann wütend an und schlug sogar auf ihn ein. »Lass mich los, du Hund! Ich muss zu meinem Weib.«
Marie versuchte, Giso zu helfen, und redete beschwörend auf den Burgherrn ein. »Ihr könnt ihr nicht helfen. Die Wehmutter ist doch bei ihr. Wenn Ihr sie stört, macht Ihr alles noch schlimmer. Also seid vernünftig und bleibt hier!«
Dietmar schenkte ihr keine Beachtung, sondern rang mit Giso, der ihn festhielt und begütigend auf ihn einsprach. Schließlich ließ Dietmar sich beruhigen und von Giso zu seinem Bett führen. Marie
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