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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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reichte ihm den Pokal, den sie schnell wieder nachgefüllt hatte, und sah zu, wie er seinen Inhalt hinabstürzte. Schließlich klammerte der Burgherr sich an Marie, die er sonst außerhalb des Bettes kaum beachtet hatte, und stammelte schluchzend eines der Gebete, die sie ihm vorgesprochen hatte. Doch die Bitte an die Gottesmutter schien ihm keinen Trost zu spenden.
    »Gott wird doch nicht so grausam sein, mir mein Weib zu nehmen?«, fragte er Marie mit angstvoll aufgerissenen Augen.
    »Das wird er gewiss nicht«, beschwor Marie ihn und hoffte, dass wirklich alles gut werden würde. Sie dachte schaudernd daran, was der Burgherr in seinem Zorn anrichten würde, wenn Frau Mechthild die Geburt nicht überstehen sollte.
    »Ich liebe sie doch so sehr. Ohne sie bin ich nur ein halber Mann. Sie ist meine Kraft, meine Stärke, mein …« Ritter Dietmar brach in Tränen aus, die jedoch weder Marie noch Giso als Zeichen der Schwäche ansahen. Der Dienstmann verehrte die Burgherrin und hätte sein Leben für das ihre gegeben. In dieser schweren Stunde konnte ihr jedoch niemand helfen außer Gott.
    Als ein weiterer, schier unmenschlicher Schrei durch die Burg hallte, wurde der Ritter mit einem Mal ganz ruhig. Er ballte die Fäuste und sah seinen Burghauptmann an. »Wenn Mechthild mich verlässt, weiß ich, wer die Schuld daran trägt. Giso, geh und sorge dafür, dass deine Leute sofort aufbrechen können, wenn meine Frau stirbt. Es war Rumolds Verrat, der ihr diesen Schlag versetzt hat. Ich werde dafür sorgen, dass er Mechthilds Tod nicht lange überlebt.«
    »Ihr wollt den Bürggener angreifen, jetzt, mitten im Winter – und das, ohne ihm die Fehde anzusagen?« Giso starrte seinen Herrn ungläubig an. Die versteinerte Miene des Ritters zeigte ihm jedoch, wie ernst Dietmar es mit seinem Befehl war. So standder Burgvogt mit müden Bewegungen auf und seufzte. »Also gut, ich rufe die Männer zusammen. Vielleicht haben wir sogar eine Chance, da man so eine Verrücktheit gewiss nicht von uns erwartet.«
    Erst als Giso sich kurz darauf vor dem Wohnturm schier die Kehle aus dem Hals brüllte, um seine Leute anzutreiben, wurde Marie bewusst, wie still es nebenan geworden war. Sie traute sich nicht, den Burgherrn allein zu lassen, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als auf die Tür zu starren und zu warten, ob jemand kam, um ihn zu informieren. Keine zwei Herzschläge später bewegte sich die Klinke. Marie hielt den Atem an und umklammerte den völlig verkrampften Arm des Ritters. Die Tür schwang auf, und Guda trat ein. Sie hielt ein Bündel im Arm, das in eines der von Marie bestickten Tücher gewickelt war und sich leicht bewegte. Strahlend hielt sie es dem Ritter entgegen.
    »Ihr habt einen Sohn, Herr Dietmar, so gesund und munter, wie man es sich nur wünschen kann.« Wie zur Bestätigung ihrer Worte begann der Säugling zu greinen.
    Der Ritter achtete jedoch nicht auf das Kind, sondern sah die Beschließerin ängstlich an. »Was ist mit meinem Weib?«
    »Sie ist sehr erschöpft, hat die Geburt aber gut überstanden.«
    Dietmar stieß einen Jubelruf aus, der das Kind erschreckte und erneut zum Weinen brachte. Er warf jedoch nur einen kurzen Blick auf das rote, runzlige Gesichtchen, schob Guda zur Seite und rannte ins Nebenzimmer. Marie und die Beschließerin folgten ihm erleichtert. Frau Mechthild lag müde und abgekämpft, aber zufrieden in ihrem Bett und rang sich ein Lächeln ab, als sich ihr Gemahl neben ihr niederkniete.
    »Ich sagte dir ja, es wird ein Sohn«, flüsterte sie.
    »Am wichtigsten ist, dass du es gut überstanden hast«, antwortete Dietmar. Er küsste sie und nickte Marie zu, die am Fußende stehen geblieben war und Frau Mechthild zu der glücklichen Geburt gratulierte.
    »Um der Jungfrau Maria zu danken, die mir mein Weib und meinen Sohn erhalten hat, gelobe ich, eine Wallfahrt nach Einsiedeln zu machen und am Tage der Engelweihe eine Kerze an ihrem Altar zu entzünden«, sagte der Burgherr feierlich. »Doch vorher werden wir meinen Sohn aus der Taufe heben.«
    »Wie soll er denn heißen?«, fragte Marie neugierig.
    »Grimald«, antwortete der Ritter lachend. »Und ich weiß auch schon, wer sein Gevatter werden soll.« Er sah seine Frau verschmitzt an und lachte fröhlich auf, als wären seine Sorgen auf einmal wie weggeblasen.

X.
    A m nächsten Vormittag brach Giso mit nur wenigen Begleitern auf, um Ritter Dietmars Freunden die Nachricht von der glücklichen Geburt des Kindes zu überbringen. Auffällig

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