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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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glaube, das kann ich mir leisten«, sagte jemand Marie ins Ohr.
    Sie drehte sich um und sah einen alten Mann in einem weiten, staubigen Pilgermantel dicht vor sich stehen. Die Muschel, die die hochgebundene Krempe seines Filzhutes zierte, wies darauf hin, dass er bis in die Stadt des heiligen Jakobus im fernen Spanien gepilgert war. Obwohl sein Mantel abgetragen und von der Sonne ausgebleicht und die Schuhe oftmals geflickt waren, wirkte der Pilger nicht wie ein armer Mann. Seine breiten, muskulösen Schultern und ein Rest von Schwertschwielen auf seinen Händen verrieten, dass er dem Ritterstand angehörte. Marie vermutete, dass er wie viele andere seinen Besitz an einen Sohn übergeben und sich auf eine Wallfahrt begeben hatte. Da er sich sauberer hielt als die meisten anderen Männer, schob Marie auffordernd die Zeltplane beiseite. »Wenn Ihr mir folgen wollt …«
    Der Mann legte seinen Stab vor dem Zelt ab und schob sich an ihr vorbei. Als er sein Obergewand abstreifte, stellte sie fest, dass sie es mit einem Greis zu tun hatte, denn die Haare auf seiner zerknitterten Haut waren weiß. Sein Gesicht zeigte jedoch nichts von der Abgeklärtheit des Alters oder der seligen Entrücktheit eines Pilgers, sondern unverhüllte Gier. Bevor Marie sich zurechtlegen konnte, ließ er sich auf sie fallen und drang mit einem so heftigen Ruck in sie ein, als wollte er sie mit seinem Glied spalten.
    In seinen jüngeren Jahren hätte er ihr mit Sicherheit Schmerzen zugefügt, sie wahrscheinlich sogar verletzt. Doch jetzt fehlte ihm die dazu nötige Härte. Trotzdem war dieser Geschlechtsakt für Marie mehr als unangenehm. Der Mann keuchte heftig und blies ihr seinen Speichel ins Gesicht, während er ihr seine Finger in die Schultern krallte und obszöne Worte lallte.
    Marie ekelte sich vor dem Mann, vor sich selbst und vor dem, was aus ihr geworden war. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, bis der Alte mit einem misstönenden Röhren über ihr zusammenbrach. Da er sich nicht gleich rührte, fürchtete sie schon, er hätte den Versuch, seine Männlichkeit zu beweisen, mit dem Leben bezahlt. Doch dann hörte sie sein Keuchen und atmete auf. Ein Toter in ihrem Zelt wäre fatal gewesen. Selbst wenn man sie nicht dafür verantwortlich gemacht hätte, wäre ein schlechter Ruf wie Pech an ihr haften geblieben. Die meisten Männer – vor allem diejenigen, die gut zahlten – hätten sie gemieden wie eine ansteckende Krankheit. Erleichtert wand sie sich unter dem alten Mann hervor und zog ihr Kleid herunter. Dann streckte sie ihm die Hand hin. »Fünf Schillinge, wie ausgemacht.«
    Der Pilger lachte sie jedoch nur aus. »Nimm den Segen des heiligen Jakob, den ich in mir trage, als Lohn. Ich zahle doch kein Geld für eine Hure.«
    Marie schalt sich eine Närrin, weil sie eine der wichtigsten Lehren des Hurenlebens vergessen hatte, nämlich sich vorher bezahlen zu lassen. Gleichzeitig wallte eine unbändige Wut in ihr hoch. Sie war nicht bereit, den Alten so ohne weiteres ziehen zu lassen. »So haben wir nicht gewettet. Entweder du bezahlst, oder …«
    »Oder was?«, höhnte er und verließ das Zelt. Marie war schneller als er. Sie hob seinen Pilgerstab auf und brachte den Alten unter dem Gelächter der Umstehenden zu Fall. Bevor der Mann sich aufrappeln konnte, griff sie nach seinem Geldbeutel und riss ihn mit einem heftigen Ruck vom Gürtel.
    »Deinen Jakobssegen kannst du behalten. Wir hatten fünf Schillingeausgehandelt. Die wirst du auch bezahlen.« Sie öffnete den Beutel, nahm Münzen im entsprechenden Gegenwert heraus und zählte sie so ab, dass jeder der Umstehenden es sah. Der Alte beschimpfte sie als Diebin und forderte die Leute auf, ihm gegen die unverschämte Hure beizustehen.
    Marie warf die sichtlich magerer gewordene Börse vor ihm auf den Boden und blitzte die anderen Männer herausfordernd an. »Der alte Bock hat wohl gedacht, er könnte bei mir umsonst grasen, doch das habe ich ihm ausgetrieben.«
    Innerlich atmete sie erst auf, als der Alte keine Anstalten machte, handgreiflich zu werden, sondern schimpfend aufstand und davonhumpelte. Mit einem Mann in der Blüte seiner Kraft wäre sie nicht fertig geworden. Der hätte sie verprügelt oder sogar erschlagen, ohne dass ihm einer der Zuschauer in den Arm gefallen wäre. Einige jüngere Männer, die Maries Preis nicht zahlen konnten und dem Alten den Besuch bei einer so hübschen Hure nicht vergönnten, beschimpften ihn und knufften ihn rüde, und als er sich dann

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