Die Wanderhure
Vorhaltungen noch nicht am Ende. »Damals hat nicht viel gefehlt, und die Kerle wären über alle Huren auf dem Markt hergefallen, erinnerst du dich? Wir haben Todesängsteausgestanden. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn die Stadtwache nicht rechtzeitig eingegriffen hätte.«
Hiltrud hob abwehrend die Hände. »Du hast ja Recht! Ich war eine Närrin. Hiermit verspreche ich dir feierlich, mich nie wieder so gehen zu lassen. Bist du nun zufrieden?«
Als Marie nickte, stand sie auf. »Komm, ziehen wir uns aus und gehen baden. Zuerst aber werde ich das Kleid und meine Decke übers Feuer hängen, denn ich fürchte, man hat mir tatsächlich ein paar Flöhe vererbt.«
Hiltrud ging in ihr Zelt, um sich umzuziehen und die Seife zu holen, die sie selbst aus Fett und Asche bereitete. Da ihr zu viele Wallfahrer in der Nähe lagerten, winkte sie Marie, ihr zu folgen, ging ein Stück am Seeufer entlang, bis sie eine Felsnase aus scharfkantigem Gestein erreichte, die weit ins Wasser hinausragte, und zog sich dort aus. Marie ging mit ihrem Kleid ins Wasser und seifte Stoff und Haut ein. Dabei sah sie Hiltrud zu, die mit einer Energie zu Werke ging, als wollte sie sich die Haut herunterschaben.
»Das wird nicht reichen. Läuse und Flöhe sind ein hartnäckiges Viehzeug und bleiben gewiss lieber bei so einem appetitlichen Bissen wie dir als den stinkenden Böcken, die du eingelassen hast.«
»Aber nur in mein Zelt und nicht in meine Pforte«, versicherte Hiltrud ihr. »Doch du kannst mir die Haare nachher mit Lauswurzbrei behandeln. Sicher ist sicher.«
Marie sah im Mondlicht, dass sie ihr wehmütig zulächelte. Auch wenn der Trennungsschmerz noch ungemindert in ihr wühlte, war Hiltrud der Freundin dankbar, dass diese ihr die Leviten gelesen hatte. Es war schlimm, wenn eine Frau sich gehen ließ, und bei einer Hure war es der Anfang vom Ende. Um ihren Ruf zu retten, würde sie etliche Tage noch wählerischer sein müssen als früher, auch wenn sie dadurch weniger Geld verdiente.
Als Marie und Hiltrud zu ihren Zelten zurückkehrten, hocktendie anderen Huren an ihrem Feuer und löffelten eine undefinierbare Suppe. Zwischen Gerlind und Berta saß ein mondgesichtiges Mädchen mit hellblonden Haaren. Das musste Märthe sein. Sie war um den Busen und die Hüften bereits gut gepolstert, doch ihrem Gesicht nach konnte sie nicht älter als sechzehn sein. Gerlind winkte ihnen zu. »Da seid ihr ja endlich. Wenn ihr etwas von der Suppe wollt, bedient euch ruhig.«
Hiltrud reichte Berta, Fita und dem neuen Mädchen die Hand. »Schön, euch wiederzusehen. Da werden wir unterwegs einiges zu erzählen haben.« Berta und Fita versicherten Hiltrud, dass es wohl ein kurzweiliges Reisen würde. Märthe aber sah nur kurz auf, bedachte Hiltrud mit einem unfreundlichen Blick und löffelte ihre Suppe weiter, als gingen die beiden Neuankömmlinge sie nichts an.
Marie, die sich umgezogen und ihr nasses Kleid zum Trocknen aufgehängt hatte, folgte Hiltrud etwas später und konnte daher die Frauen am Feuer ein paar Augenblicke lang unbemerkt beobachten. Was sie sah, stieß sie ab. Märthes unfreundliche Reaktion gab ihr Rätsel auf, störte sie aber wenig. Das Mädchen passte zu den anderen dreien, denn alle vier wirkten ungepflegt und heruntergekommen.
Früher hatte Gerlind sich peinlich sauber gehalten und darauf geachtet, dass auch Berta und Fita nicht zu schlampig herumliefen. Doch jetzt verströmte die alte Hure den gleichen säuerlichen Geruch wie die anderen, und ihre Kleider waren schmutzig und voller Flecken. Hände und Gesicht sahen ebenfalls so aus, als hätte sie sich seit Wochen nicht mehr gewaschen. Marie empfand plötzlich einen Ekel davor, etwas zu essen, das Gerlind gekocht hatte, und sie stellte fest, dass es Hiltrud nicht anders erging.
Die Freundin starrte den Topf an und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Wir werden heute Abend nicht mit euch essen, Gerlind, denn wir haben noch Vorräte, die verbraucht werden müssen.«
»Dabei helfen wir gerne«, rief Berta ihr nach.
Marie und Hiltrud kehrten zu ihren Zelten zurück und hockten sich an das kleine, stark rauchende Feuer, um zu überlegen, was sie tun sollten. Wenn sie nicht gleich Ärger mit den anderen bekommen wollten, mussten sie einen Teil des Schinkens opfern, den ihnen Guda auf Burg Arnstein eingepackt hatte. Aber das war nicht das Schlimmste.
Hiltrud warf noch einen Blick hinüber und schüttelte sich. »Ich hoffe, wir kriegen Gerlind so weit, dass sie sich
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