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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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überlegte, ob sie Hiltrud auf Thomas aufmerksam machen sollte, der zwischen den Zinnen auf einem der Türme stand und ihnen nachwinkte. Doch die Freundin starrte mit so verbissenem Gesicht nach vorne, als fürchte sie, sie würde bei einem Blick über ihre Schulter zur Salzsäule erstarren wie einst Lots Weib.
    So verließ sie das Tal, ohne Arnstein einen letzten Blick zu schenken. Thomas aber stieg erst von seinem Aussichtsposten herab, als die beiden Frauen längst zwischen den Bäumen des jenseitigen Talrands untergetaucht waren. Mit hängenden Schultern kehrte er in seinen Ziegenstall zurück, um den Tieren sein Leid zu klagen.

II.
    D er kleine See umschlang die Halbinsel, auf der das Wallfahrtskirchlein St. Marien am Stein erbaut worden war, wie mit zwei schützenden Armen. Die meiste Zeit des Jahres war dieser Ort nur vom Gezwitscher der Vögel und dem Wellenschlag des Sees erfüllt, was höchstens einmal in der Woche von der kleinen Glocke im Turm übertönt wurde, wenn die Mönche des nahen Klosters zu dem alten, aus fast weißen Steinen erbauten Gotteshaus kamen, um es zu pflegen und einige Gebete zu sprechen. An Wallfahrtstagen wie an diesem Palmsonntag vermochte die Landzunge die Gläubigen jedoch kaum zu fassen. Männer, Frauen und Kinder strebten in ihren besten Gewändern dem offenen Tor der Kirche zu, um einen Blick auf das wundertätige Bildnis der Heiligen Jungfrau zu werfen, das ein längst vergessener Künstler aus Gold und Kupfer geschaffen hatte, und die Gottesmutter dabei um Gnade und die Vergebung der Sünden anzuflehen.
    Hiltrud und Marie kamen im langsam versiegenden Strom der letzten Pilger an, in den sie sich unterwegs eingereiht hatten. Anfangs hatte es sie noch gestört, dass die Frauen sie misstrauisch beäugten und ihnen auswichen, als hätten sie den Aussatz, während die Männer sie abschätzten und ihnen anzügliche Worte zuriefen. Bald aber hatten sie sich wieder daran gewöhnt und fanden Gefallen an dem Gedanken, dass sie hier gut verdienen würden. Es gab nicht viel Konkurrenz, wie sie mit einem schnellen Blick feststellten, nur vier fadenscheinige Zelte, an denen ausgebleichte gelbe Bänder flatterten.
    Die Huren, denen sie gehörten, waren bereits voll im Geschäft, denn die Eingänge waren zugezogen, und einige Männer strichen ungeduldig um die windschiefen, schlecht verzurrten Behausungen herum, als könnten sie es nicht erwarten, ihrerseits eingelassen zu werden. Marie und Hiltrud sahen einige erwartungsvolle Blicke auf sich gerichtet und beeilten sich, ihre eigenen Zelte aufzuschlagen.Da weder ein Büttel noch ein Mönch auftauchte, um ihnen einen Platz anzuweisen, wählten sie ein leicht erhöht liegendes, trockenes Stück Wiese am Ufer, das im Schatten einiger Trauerweiden lag, denn deren tief ins Wasser hängende Zweige versprachen ihnen am frühen Morgen einen halbwegs ungestörten Badeplatz. Während sie noch damit beschäftigt waren, die Leinwände an die Stangen zu binden, trat eine der anderen Huren aus ihrem Zelt und starrte zu ihnen herüber.
    »Ist es denn die Möglichkeit. Die Welt ist wirklich klein.«
    »Gerlind, was machst du denn hier?«, rief Hiltrud überrascht hinüber. »Ich dachte, du hättest dich zur Ruhe gesetzt.«
    Die alte Hure kam mit einem bitteren Lachen auf sie zu und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Zumindest habe ich es versucht. Aber ich war den Hurenwirten in der Gegend zu erfolgreich. Deswegen hetzten sie mir den Pfaffen und die Büttel auf den Hals. So viele Gesetze, gegen die ich verstoßen haben soll, kann es gar nicht geben, das kannst du mir glauben. Sie nahmen mir meine beiden Täubchen weg, die ich mühsam abgerichtet hatte, steckten sie zu einem einheimischen Hurenwirt und vergaßen auch nicht, mein mühsam erspartes Geld einzukassieren. Dann haben sie mich mit Rutenschlägen davongetrieben. Jetzt ziehe ich wieder umher und bilde nebenbei ein neues Vögelchen aus. Märthe ist zwar nicht die Hellste, aber sie kann es den Männern richtig besorgen.«
    Hiltrud umarmte Gerlind voller Freude. Dabei schien sie nicht zu bemerken, wie schmutzig die zahnlose, eingefallene Frau war. »Schön, dich zu treffen. Jetzt können wir wieder zusammen reisen.«
    »Sicher! Sicher! Dann wäre unsere alte Gruppe ja wieder beisammen. Märthe und ich haben auf dem Weg hierher Berta und Fita getroffen, die ebenfalls Anschluss suchten. Zu sechst brauchen wir bei keiner Reisegruppe mehr zu betteln, um in ihrem Schutz reisen zu

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