Die Wanderhure
Pflanzensäften so braun wie die von Südländerinnen.
Als sie das im nördlichen Schwarzwald gelegene Schönmünztal hochstiegen und von der Höhe der Hornisgrinde hinab bis zum Rhein blickten, beschloss Marie, wieder unter Menschen zu gehen.Sie waren schon seit einigen Tagen einem gebahnten Pfad gefolgt, der frischen Fußspuren nach zu urteilen häufiger benutzt wurde, und Marie hoffte, er würde sie zu einem Städtchen oder vielleicht sogar zu einem Wallfahrtsort bringen. Sie war bereit, ein Risiko einzugehen und die Torwachen mit einem Schilling zu bestechen, nur um einkaufen gehen zu können.
Als die Dächer eines größeren Ortes vor ihnen auftauchten, gab Hiltrud nach, doch da sie fürchtete, sie würden zu zweit zu sehr auffallen, wollte sie im Wald nahe der Stadt auf Marie warten. So deckte Marie zu Hiltruds Missfallen die Hurenbänder an ihrer Kleidung mit dem fadenscheinigen Tuch ab, in das sie sonst ihre Besitztümer schlug, und steckte nur eine Hand voll Münzen ein, um Brot und Vorräte zu kaufen.
Hiltrud umkreiste ihre Freundin dabei wie eine Glucke. »Mir ist nicht wohl dabei. Was ist, wenn du belästigt wirst oder Leuten des Riedburgers direkt in die Arme läufst?«
Marie winkte lachend ab. »Er wird wohl kaum nach einer schmutzigen Vettel mit braunen Haaren suchen. Hiltrud, sieh doch ein, dass wir etwas anderes essen müssen als wildes Gemüse und Baumschwämme. Und wenn wir uns nicht bald neue Kleider nähen, werden wir nackt herumlaufen müssen, denn die Fetzen, die wir jetzt tragen, fallen uns ja schon vom Leib. Wenn wir in solchen Lumpen an den Rhein kommen, schaut uns kein Mann mit voller Börse auch nur von ferne an.«
»Da hast du schon Recht, aber …«
»Kein Aber, Hiltrud«, unterbrach Marie ihre Freundin. »Mach du es dir hier bequem. Ich gehe allein weiter.«
Hiltrud ließ die Schultern hängen. »Also gut, wenn du nicht auf meinen Rat hören willst, dann geh in Gottes Namen«
Der Ort, dem sie sich näherte, war größer, als sie erwartet hatte. Auf der sanft abfallenden Westflanke eines Berges erbaut, überragten dunkle Holzhäuser mit bis zum Boden reichenden Rieddächern die auf halber Höhe errichtete Stadtmauer. Das größteAnwesen im Ort war eine Herberge, die mit einem weithin sichtbaren Schild die Reisenden grüßte. Das wuchtige Gebäude unterstrich die Bedeutung der Handelsstraße, bei der es sich um jene handeln musste, die vom Rhein über die letzten Höhen des Schwarzwalds und weiter über Nagold bis nach Stuttgart führte. Vor der Herberge waren Stoffdächer von Ständen zu erkennen, mit denen Händler ihre Waren vor Sonne und Regen schützen. Marie atmete auf. Wie es aussah, wurde an diesem Tag Markt abgehalten.
Als sie sich dem Tor näherte, klopfte Maries Herz zum Zerspringen. Die Wachen wiesen sie jedoch nicht sofort ab. Einer von ihnen bückte sich und zupfte Marie an einem vorwitzigen gelben Band, das aus dem Tuch gerutscht war, und verlangte gleich vier Pfennige Torsteuer. Als Marie ihn empört ansah, deutete er auf die Wachstube und machte eine eindeutige Bewegung.
Marie wusste, welche Probleme sie bekam, wenn sie sich den Eintritt in die Stadt erhuren würde, und setzte eine verbissene Miene auf. »Ich will zum Markt, um Brot zu kaufen.«
Die Miene des Torwächters verriet, dass er sein Angebot nicht ernst gemeint hatte, es aber trotzdem bedauerte, dass sie es nicht angenommen hatte. Zu Maries Erleichterung wies er sie nicht ab, sondern gab sich mit drei guten Pfennigen zufrieden und wünschte ihr sogar noch einen schönen Tag und Gottes Segen.
Marie schob das Band unter ihr Tuch und schritt, so schnell es die dicht bevölkerte Straße zuließ, auf den Marktplatz zu. Sie beruhigte sich erst, als sie in die Gassen zwischen den Ständen und Karren eintauchte und all die schönen Dinge sah, die sie schon so lange vermisst hatte. Zumeist wurde hier das verkauft, was der Wald den Menschen lieferte, von Spanschachteln angefangen über geschnitzte Löffel und Becher bis hin zu den geräucherten Schinken der Schweine, die in den tieferen Lagen des Schwarzwalds geweidet wurden. An einem Stand wurden jedoch auchMesser, Beile, Kochkessel aus Eisen und Kupfer und an einigen anderen verschiedene Tuche angeboten.
Nach der langen, einsamen Zeit im Wald fiel es Marie schwer, sich unter Menschen zu bewegen. Sie zuckte jedes Mal zusammen, wenn in ihrer Nähe eine laute Stimme erklang, da sie glaubte, es würde ihr gelten. Erst nach einer Weile begriff sie, dass sich
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