Die Wanderhure
kein Mensch für sie interessierte. Nun wagte sie es, auf einen Marktstand zuzutreten und einen Blick auf die ausgestellte Ware zu werfen. Der Verkäufer starrte abschätzend auf den Beutel an ihrem Gürtel und wieselte mit eifriger Miene auf sie zu.
»Ein Tuch aus Flandern gefällig, Jungfer? Wie gewirkt, um einen schmucken Bräutigam zu bekleiden.« Dabei hielt er ihr ein Stück Stoff unter die Nase.
Maries Vater hatte unter anderem auch mit wertvollen Stoffen gehandelt, und daher erkannte sie auf den ersten Blick, dass das Tuch aus viel zu dünnen Fäden bestand und schlecht gewebt war. Der Preis, den der Mann dafür verlangte, war unverschämt. Sie schüttelte den Kopf und eilte weiter. Der Händler sah ihr ärgerlich nach, begrüßte dann aber die nächste Frau, die seinem Stand zu nahe kam.
Marie wusste nicht genau, wie lange Hiltrud und sie im Wald gelebt hatten. Dem Obst und Gemüse zufolge, das auf einem anderen Teil des Marktes angeboten wurden, mussten es Wochen gewesen sein. Es gab Kirschen, Birnen und bereits die ersten Frühpflaumen, die man in der Rheinebene gezogen und hierher gebracht hatte. Marie lief das Wasser im Mund zusammen. Noch widerstand sie der Versuchung, doch als sie einige Schritte weiter einen Stand mit Bratwürsten entdeckte, war es um ihre Selbstbeherrschung geschehen. Sie kaufte sich gleich vier Stück und suchte sich dann eine stille Ecke, um sie dort zu essen. Dabei kam sie sich fast wie eine Verräterin an Hiltrud vor. Nachdem sie die Würste gegessen und sich das Fett von den Fingern geleckt hatte, raffte sie sich auf und besorgte erst einmal die Dinge, die sieam nötigsten brauchten. Innerhalb kurzer Zeit erstand sie zwei Laibe Brot, ein Stück Schinken, Nähnadeln und Zwirn, dazu zwei Stücke Stoff, aus denen Hiltrud und sie sich neue Kleider nähen konnten, und schließlich ein großes Schultertuch, in dem sie die Einkäufe verstauen konnte.
Zunächst blieb Marie recht wortkarg und beschränkte sich darauf, nur die nötigsten Dinge zu sagen. Als sie jedoch auf einen freundlich lächelnden Weinverkäufer zutrat, der sie wortreich, aber ohne Anzüglichkeiten begrüßte, ließ sie sich die eben erstandene Kanne mit Rheinwein füllen und sprach ihn an. »Guter Mann, könnt Ihr mir sagen, was es Neues gibt?«
»Sehr viel«, antwortete er lachend. »Was willst du denn wissen, Frau?«
»Was ist mit diesem Konzilium in Konstanz? Sind die edlen Herren schon zusammengekommen?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Wo denkst du hin? Ehe Fürsten und Bischöfe sich treffen, gibt es doch allerlei zu bedenken. Die machen sich nicht wie unsereins sofort auf den Weg, sondern tauschen Botschaften aus und treffen allerlei Abkommen, denn sie trauen einander nur selten. Dann schicken sie Leute voraus, die die Herbergen unterwegs inspizieren, Anweisungen für die Aufnahme ihrer Herren geben und passende Unterkünfte vor Ort suchen müssen. Das ist eine sehr schwierige Sache, Frau, denn der Kaiser darf nicht schlechter wohnen als der Papst oder umgekehrt und ein Bischof nicht schlechter als ein Fürst oder Graf. Bis das alles geregelt ist, gehen viele Monate ins Land.«
Der Mann schien sich gerne reden zu hören, denn er erklärte Marie lang und breit, wer von den hohen Herren alles nach Konstanz kommen würde. Marie schwirrte bald der Kopf von all den Namen. Neben den Herren und Würdenträgern aus dem Reich sollten auch viele fremde Edelleute und Kirchenmänner kommen, aus dem fernen Schottland ebenso wie aus Spanien und Italien. Er berichtete Marie auch von den Vorbereitungen, die inKonstanz für dieses große Ereignis getroffen wurden. Besonders gut schien er ihre Heimatstadt allerdings nicht zu kennen, denn sie konnte sich weder an goldene Dächer noch an Straßen mit silbernen Pflastersteinen erinnern. Auch lag Konstanz auf keiner Insel im Bodensee, der den Worten des Händlers zufolge so groß sein sollte wie ein Ozean.
»Der Heilige Vater wird mit dem Schiff direkt von Rom aus dorthin fahren«, erklärte der Mann mit verklärten Augen und schwärmte Marie von der Pracht der Prunkbarke des Papstes vor. Da unterbrach Marie den Weinhändler und erkundigte sich nach den letzten Fehden zwischen adligen Häusern.
Der Weinhändler überlegte kurz. »Wohl, wohl, da gab es im Frühjahr eine große Fehde zwischen den Herren der Riedburg und der Sippe auf Büchenbruch. Das war eine üble Sache, sage ich dir. Der alte Siegbald hatte seinen ältesten Sohn Siegward heimlich an den Rhein geschickt,
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