Die Wanderhure
schon heiraten außer vielleicht ein Abdecker, Totengräber oder Scharfrichter, Männer eben, die in ihren Städten zu den unehrlichen Leuten gehörten und die nicht einmal eine Magd nehmen wollte, geschweige denn eine Bürgerin. Und selbst diese Männer stellten noch Ansprüche, wenn auch mehr an Geld als an Aussehen. Sie schüttelte diesen Gedanken ab und stapfte den Weg hinab, den Jobst ihnen wies.
Hiltrud und Kordula folgten ihr auf dem Fuß, während Helma und Nina sich an den Hurenwerber hingen und ihn umgurrten. Jobst hatte die beiden dazu überredet, sich in einem der städtischen Bordelle einzumieten, und auch Marie und Hiltrud das Leben darin in den schönsten Farben ausgemalt. Bei ihnen war er jedoch abgeblitzt, denn sie wollten ebenso wie Kordula auf eigene Rechnung arbeiten und nicht einen großen Teil des mühsam erarbeiteten Lohnes für ein löchriges Dach über dem Kopf und schlechten Fraß an einen Wirt abgeben. Irgendwann hatte Jobst aufgegeben und ihnen ein Häuschen am Ziegelgraben versprochen, allerdings für einen Wucherzins, und er hatte ihnen gleich die ersten drei Monatsraten abgeknöpft.
Marie kannte den Teil der Stadt, in dem der Ziegelgraben lag. Vor fünf Jahren war dort unbebautes Land gewesen, Rheinwiesen, auf denen die ärmeren Städter Gras für ihre Ziegen gemähthatten. Daraus schloss Marie, dass ihre Unterkunft kaum mehr sein würde als ein Stall. Das schreckte sie nicht, denn Hiltrud und sie hatten ihre Winterquartiere auch jedes Mal wohnlich herrichten müssen, und Kordula hatte ihnen schon angeboten, sich als Dritte an der Arbeit und den Kosten zu beteiligen. Das letzte Wort war zwar noch nicht gesprochen, doch Marie war dafür, sich mit der älteren Hure zusammenzutun. Kordula erinnerte sie an Gerlind, die sie vor fünf Jahren kennen gelernt hatte, auch wenn die breithüftige Frau jünger war als Gerlind damals.
Marie schob die Gedanken an das, was auf sie zukommen mochte, erst einmal beiseite, sondern konzentrierte sich auf den steinigen, von Baumwurzeln überwucherten Weg, der sich zwischen alten Baumriesen zum See hinabschlängelte. Obwohl es noch März war, brannte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Daher waren die Frauen nun froh, im Schatten wandern zu können. Am Morgen war es noch bitterkalt gewesen, und die meisten trugen noch ihre wollenen Überwürfe oder hatten zwei Kleider übereinander gezogen, in denen sie jetzt schwitzten. Auch Marie lief der Schweiß in dünnen Bächen über den Rücken und reizte die Narben zusätzlich.
Hiltrud bemerkte, wie sie unbehaglich die Schultern bewegte, und fuhr ihr mit den Fingerspitzen über den Rücken. Marie drehte sich dankbar zu ihr um und sah dabei, wie der Fuhrmann hinter ihnen sein Gespann wendete, um zurückzufahren. Von hier unten hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit Utz, was an der Tracht liegen mochte. Jetzt wurde Marie bewusst, wie viel Glück sie bisher gehabt hatte, denn Jobst hätte auch auf ihren Peiniger treffen können, als er den Wagen mietete. Sie hoffte, der Mann würde wegen des Konzils so viel zu tun haben, dass die Gefahr, ihm in Konstanz zu begegnen und von ihm erkannt zu werden, nicht sonderlich groß war.
Als der Wald den Blick auf den See freigab, sahen die Frauen, dasssie nicht die einzigen Reisenden waren, die zu den Schiffen hinabstiegen. Vor ihnen schritt eine Gruppe von Männern, die die wallenden Talare und die Kappen der Gelehrten trugen, gemächlich den Hang hinab. Als die kichernden, schwatzenden Hübschlerinnen sie einholten, erstarb die gelehrte Unterhaltung, und das würdevolle Gehabe fiel von ihnen ab. Sie musterten die Frauen mit gierigen Blicken, und der eine oder andere deutete eine obszöne Geste an. Doch ihre fadenscheinige Kleidung und die durchgetretenen Schuhe deuteten darauf hin, dass keiner von ihnen genug Münzen in seinem Beutel hatte, sich eine der Huren leisten zu können. Trotzdem sprach einer Nina an, die ihm einen koketten Blick zuwarf und ihren Preis nannte.
Marie achtete nicht darauf, was der Mann erwiderte, sondern blickte nach vorne, wo unterhalb des Steilhangs ein wackelig aussehender Steg in den See ragte. An ihm lag ein großer Nachen vertäut, der schon hoch mit Säcken und Kisten beladen war, während sich die ersten Passagiere an der Bordwand drängten. Das Boot schien viel zu wenig Platz für die Gruppe der Huren und die Gelehrten zu bieten, zumal sich auch noch ein Reiter auf einem Maultier auf dem Hochuferweg von Uhldingen näherte. Seine Kleidung
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