Die Wanderhure
verriet von weitem, dass er dem geistlichen Stand angehörte, und kurz darauf konnte man an seinen Abzeichen sehen, dass er der Abt eines Benediktinerklosters sein musste. Als er sein Reittier an den Hübschlerinnen vorbeitrieb, sprachen der überhebliche Ausdruck seines feisten Gesichts und die Art, wie er seine Kutte und seinen Übermantel an sich raffte, um nicht mit den Frauen in Berührung zu kommen, jeder christlichen Demut Hohn.
Der Abt ritt auf den Steg hinaus bis zum Nachen und ließ sich von zwei Schifferknechten aus dem Sattel helfen. Einer der Knechte reichte ihm den Arm, damit er über die Bordwand steigen konnte, während der zweite das Maultier zu einigen Gebäuden führte, die etwas abseits von der Anlegestelle auf dem bewaldeten Hochufer standen.
»He, ihr da! Macht, dass ihr einsteigt. Ich will Konstanz noch vor Einbruch der Nacht erreichen«, bellte der Schiffer die Huren und die gelehrten Herren gleichermaßen an. Die Männer drängten sich nach vorne und stießen Helma und Nina dabei grob beiseite.
Kordula, die sich wieder zu Hiltrud und Marie gesellt hatte, tippte sich auf die Stirn. »Zuerst versuchen die Herren Magister, bei unsereinem Eindruck zu schinden, um umsonst zum Zug zu kommen, und dann benehmen sie sich wie Gassenrüpel.«
Hiltrud und Marie stimmten ihr lächelnd zu und folgten schnell der Anweisung eines Schiffsknechts, um zu vermeiden, dass der Mann sie unter dem Vorwand, ihnen helfen zu müssen, begrabschte. Das Boot war so überfüllt, dass sie auf die Fracht klettern mussten. Marie kam neben dem Abt zu sitzen. Der schnaubte verächtlich und drehte die Nase weg, als würde ihr Geruch ihn anwidern. Doch Marie beobachtete, wie er sie aus dem Augenwinkel taxierte. Mit einem Mal leckte er sich die Lippen und machte eine Bewegung, als wolle er ihr in den Ausschnitt greifen. Sie wich zurück, so weit sie konnte, drehte ihm den Rücken zu und zog ihr Schultertuch über den Kopf, um zu verhindern, dass er ihre Haare berührte. Kordula, die zwischen ihr und Hiltrud saß, stieß sie mit einem leicht boshaften Lächeln an.
»Ich kenne den Mann neben dir. Das ist Hugo, der Abt des Klosters Waldkron. Mich wundert, dass er dich so anstarrt. Der ist dafür berüchtigt, Jagd auf unschuldige junge Mädchen zu machen. Manchmal lässt er sich auch Hübschlerinnen kommen, die noch kindhaft wirken.«
»Während ich weder jung bin noch unschuldig aussehe«, spottete Marie.
»So habe ich es nicht gemeint. Ich frage mich nur, wieso er sich plötzlich für eine erwachsene Frau interessiert …« Kordula legte den rechten Zeigefinger an die Nase, als helfe ihr das beim Nachdenken. »Als ich ihn das letzte Mal sah, hielt er sich ein Mädchenals Geliebte, das dir ähnlich sah. Jedenfalls war sie so blond wie du und hatte auch so ein Madonnengesicht. Kann sein, dass du dir schon einen treuen Kunden angelacht hast.«
Marie zuckte mit den Schultern. »Wenn er gut zahlt, kann er mich haben.«
Kordula beugte sich vor und dämpfte ihre Stimme noch mehr. »Sei vorsichtig. Der Abt ist einer von der widerwärtigen Sorte, die es liebt, Frauen zu schlagen und zu quälen. Die Kleine, die ich eben erwähnt habe, hat sich bei mir ausgeweint und mir Sachen berichtet, die mir …« Was Kordula weiter über den Mann erfahren hatte, blieb ungesagt, denn gerade löste einer der beiden Knechte des Schiffers die Leinen, und der Nachen begann bedenklich zu schwanken. Kordula schrie auf und klammerte sich an den Packen, auf dem sie saß.
Der Schiffer stieß den Nachen mit einer langen Stange vom Ufer ab und stakte auf den offenen See hinaus, während die beiden Knechte das Segel am Mast hochzogen. Als die Leinwand sich unter dem Druck des Windes bog, legte er die Stange weg und griff nach dem Ruder. Eine Brise aus nördlicher Richtung trieb den schwerfälligen Kahn auf den See hinaus.
Marie war diese Art zu reisen von früher gewohnt, denn ihr Vater hatte sie öfter nach Meersburg mitgenommen. Daher machte ihr das Schaukeln nichts aus. Auch Hiltrud nahm es gleichmütig hin, doch Kordula starrte noch eine Weile ängstlich auf das sich entfernende Ufer. Als sie sich beruhigt hatte und das Gespräch wieder aufnahm, war der Abt vergessen, denn sie interessierte sich nur noch für das, was sie in Konstanz erwarten mochte.
Marie war so angespannt, dass sie nur einsilbige Antworten gab. Obwohl sie jahrelang zusammengezuckt war, wenn der Name ihrer Heimatstadt fiel, brannte sie nun darauf, sie wieder zu betreten. Sie sah den
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