Die Wanderhure
darüber wie über einen guten Witz, schoben ihn aber weg, als er nach Ninas Brusttuch griff.
Marie versuchte, den Schrecken abzuschütteln, den ihr Rupperts Anblick eingeflößt hatte, indem sie die umstehenden Gaffer abschätzte, um herauszufinden, wer von ihnen als Kunde in Frage kam. Doch der einzige Mann, dessen Äußeres darauf schließen ließ, dass er mehr als sechs Schillinge im Beutel haben könnte, stieß sie ab. Dabei wirkte er nicht einmal unsauber.
Es handelte sich um einen kräftigen Mann mittleren Alters mit dem Gesicht eines Bauern und der Kleidung eines Höflings. Er trug modisch enge grüne Hosen, ein reich besticktes Wams mit Pelzbesätzen und eine runde Kappe mit einem Futter aus Otterfell. Sein rechtes Augenlid hing schlaff herab, so dass nur sein linkes Auge offen stand. Mit diesem musterte er jede der neu angekommenen Hübschlerinnen, als wären es Stuten auf dem Pferdemarkt. Bei Ninas Anblick leckte er sich genießerisch die Lippen, aber als er Marie betrachtete, wurde sein Gesichtsausdruck geradezu Besitz ergreifend. Marie drehte ihm die Schulter zu, um ihm zu zeigen, dass sie kein Interesse hatte, doch aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass er sie taxierte, als sei sie splitternackt. Der Mann würde wohl unter ihren ersten Kunden zu finden sein, und sie konnte nur hoffen, dass er entweder vor ihrem Preis zurückschrecken oder trotz seines groben Äußeren und seines arroganten Benehmens ein angenehmer Freier sein würde.
Der Mann schien sofort mit ihr handelseinig werden zu wollen, denn er schob die beiden jungen Männer, die sich vor ihn gedrängt hatten, grob beiseite und trat auf sie zu. Im gleichen Augenblick tauchte hinter ihm eine stark geschminkte, schwarzhaarige Frau mit einem abenteuerlich aufgeputzten Hut auf und tippte ihm auf die Schulter. Er drehte sich um und machte ihr mit einer höflichen, aber auch ein wenig spöttischen Geste Platz. Auf seinem Gesicht aber spiegelte sich der Ärger über die Störung, und das reizte die Frau so zum Lachen, dass Marie schon erwartete, ihre Brüste würden den unanständig tiefen Ausschnitt ihres Kleides sprengen. Als die Frau Jobst mit einer nachlässigen Handbewegung grüßte und sich neben ihn stellte, sah Marie, dass sie ein kleines, auffallend gelbes Tuch an ihren Gürtel geknotet hatte.
»Ich bin Madeleine aus Angers, meine Lieben«, stellte sie sich vor, »und heiße euch hier in Konstanz willkommen. Meine Freundinnen und ich haben euch schon sehnsüchtig erwartet. Hier haben sich so viele kräftige Männer versammelt, dass wir es kaum noch schaffen. Doch sosehr wir uns auch freuen, Verstärkung zu erhalten, so wollen wir nicht, dass ihr unsere Preise kaputtmacht. Einige Leute sind zwar der Ansicht, wir seien zu teuer …« – ein spöttischer Blick streifte bei diesen Worten den Mann mit dem hängenden Augenlid –, »… doch bestimmt nun einmal die Nachfrage den Preis. Neben einer stattlichen Schar weltlicher Herren bevölkern auch viele Mönche und Prälaten diese gastfreundliche Stadt, und sie alle scheinen viel nachzuholen zu haben.«
Marie und ihre Begleiterinnen wunderten sich, von der Sprecherin der Huren so freundlich empfangen zu werden. Die Schatten um Madeleines Augen verrieten jedoch, dass die Frau ihr Bett in den letzten Tagen und Wochen nur selten zum Ausschlafen benützt hatte, was bei den Preisen, die sie ihnen nannte, kein Wunder war. Einige der Huren kreischten freudig auf, als sie hörten, wie viel man hier verlangen konnte, und andere rieben sich begeistert die Hände.
»Ich bin gespannt, was hier ein Laib Brot oder ein Maß Wein kostet«, hörte Marie Hiltrud neben sich murmeln und nickte nachdenklich. Bei so vielen Menschen mussten Lebensmittel von weither herbeigeschafft werden, und das trieb die Preise hoch. Doch wenn die Freier wirklich so viel bezahlten, wie Madeleine behauptete, würden sie trotzdem gutes Geld verdienen.
Am meisten wunderte es Marie, dass an Madeleines Kleidung die gelben Hurenbänder fehlten. Nur eine dünne gelbe Litze, mit der sie den Ausschnitt ihres roten Kleides verziert hatte, und der Tuchfetzen in ihrem Gürtel deuteten auf ihr Gewerbe hin. Marie wandte sich ab. Es gehörte zum Geschäft, sich vor einem gut zahlenden Freier auszuziehen. Doch mit fast vollständig entblößten Brüsten herumzulaufen würde sie niemals fertig bringen.
Jobst kümmerte sich nicht um Madeleine, sondern teilte seine Schützlinge unter den einheimischen Hurenwirten auf. Dabei tat er sein Bestes,
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