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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Herrn Philipp den Schädel einzuschlagen, wenn er Hedwig noch einmal anfasst.«
    »Zumindest kannst du es bezeugen.« Es klang wie ein Befehl. Melcher nickte eifrig. »Ich kann es beschwören!«
    »Nicht bevor ich es dir sage. Ich warne dich, halte allen anderen gegenüber deinen Mund und tu nur, was ich dir sage.«
    »Freilich, Utz, das ist doch klar.«
    Der Fuhrmann zerzauste Melcher grinsend das Haar. »Wenn du auf mich hörst, wirst du es noch weit bringen, Melcher.«
    »Du hältst doch, was du mir versprochen hast, nicht wahr? Der Gefolgsmann eines hohen Herrn zu werden ist doch etwas anderes, als Bretter und Fassdauben für Meister Mombert zuzuschneiden.«
    »Das will ich meinen«, stimmte Utz ihm lachend zu. »Wenn alles vorüber ist und du mir brav gehorcht hast, bringe ich dich zu einem Herrn von Stand, der dich in seinen Dienst nehmen wird. Das ist schon abgemacht. Dann wirst du auch so schmucke Kleider tragen wie die Offiziere, die du so bewunderst. Aber geh jetzt! Ich will nicht, dass man dich vermisst.«
    Melcher lief mit verklärter Miene davon. Utz sah ihm mit einem zufriedenen Grinsen nach, bis der Junge zwischen den Leuten auf der Gasse untergetaucht war, und kehrte an seinen Tisch zurück, um seinen Wein auszutrinken. Wenig später schlenderte er scheinbar ziellos durch die Gassen und blieb vor dem Münster stehen, das zum Versammlungsort des Konzils bestimmt worden war.
    Sogar auf dem Vorplatz standen hohe Würdenträger und redeten mit Händen und Füßen aufeinander ein. Zwischen ihnen versuchten bewaffnete Gardisten, ihre Herren im Auge zu behalten und gleichzeitig die fliegenden Händler zu vertreiben, die sich allzu frech herandrängten, um Speisen und Leckereien zu verkaufen.
    Utz wanderte wie ein müßiger Gaffer durch die Menge, wich den Soldaten geschickt aus und erreichte so den oberen Münsterhof, in dessen Mitte eine Gruppe von Chorherren heftig miteinander diskutierte. Utz hörte den Mönchen, deren Hauptanliegen die wenige Tage zurückliegende Flucht des Papstes war, eine Weile scheinbar aufmerksam zu und hielt dabei das Nordtor im Auge. Als der Mann, den er erwartet hatte, im wallenden Talar eines Gelehrten heraustrat, löste sich der Fuhrmann aus dem Schatten der Augustinermönche und kreuzte wie zufällig seinen Weg.
    »Die Sache mit dem Steinzeller und Mombert Flühi kann in den nächsten Tagen über die Bühne gehen«, sagte er leise.
    Magister Ruppertus Splendidus neigte das Haupt, ohne den Fuhrmann anzublicken, und drehte sich zum Abt des Klosters Waldkron um, der hinter ihm das Münster verlassen hatte.
    »Wollen wir gemeinsam nach Hause gehen, Herr Hugo? Dabei könntet Ihr mir berichten, wie Eure morgendliche Jagd ausgegangen ist.«
    Hugo von Waldkrons Gesicht verzog sich für einen Moment. Ruppert registrierte den wortlosen Gefühlsausbruch mit einemmaliziösen Lächeln, legte dem Kirchenmann den Arm um die Schulter und zog ihn zu sich heran, als wolle er ihn stützen.

V.
    A ls Marie vom Lichten Berg bei Meersburg aus zum ersten Mal seit Jahren wieder die blauen Wasser des Bodensees vor sich liegen sah, begann ihr Rücken erbärmlich zu jucken.
    Es war ein herrlicher Frühlingstag. Da die Luft klar war, glaubte sie, im Süden den wuchtigen Hauptturm des Konstanzer Münsters erkennen zu können, und dachte an den goldenen Wetterhahn über dem Chorfirst. Ihn hatte sie bei ihrer Vertreibung aus der Stadt als Letztes bewusst wahrgenommen. Für einen Moment stellte sie sich vor, er würde bei ihrer Rückkehr krähen wie ein richtiger Gockel. Laut würde sein Ruf über die Dächer schallen und verkünden, dass sie zurückgekehrt war, um Rache zu üben.
    Schnell schüttelte sie diesen Gedanken ab. Wenn sie überleben und ihre Rache unbehelligt vorbereiten wollte, durfte sie nicht auftreten wie ein hoher Herr, der lautstark sein Recht forderte, sondern musste sich so leise und unauffällig einschleichen wie ein Mäuschen. Das konnte nur gelingen, wenn niemand sie erkannte und sie nicht ins Gerede kam. Außer Hiltrud hatte keine der anderen Huren, mit denen sie in ihre Heimat reiste, von ihrer Geschichte erfahren. Selbst Jobst, der Werber, wusste nicht, dass sie einst eine Konstanzer Bürgerstochter gewesen war.
    Sie waren sechzehn Hübschlerinnen, wie Jobst sie schmeichlerisch nannte. Nur ein paar von ihnen waren bemerkenswert hübsch, aber alle hatten angenehme Gesichtszüge und eine gute Figur. Es befand sich keine Pfennighure unter ihnen. Die kamen von allein, wie Jobst

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