Die Wanderhure
er sich viel Zeit zum Ausziehen, und er legte seine Sachen mit einem aufreizenden Lächeln aus Maries Reichweite. Sie hatte sich nackt und mit gespreizten Beinen aufs Bett gelegt und tat so, als sei ihr völlig gleichgültig, was er tat.
Michel beugte sich über sie und wollte sie zwingen, ihn anzusehen, doch sie drehte sich mit einem so gleichgültigen Ausdruck von ihm weg, dass er sich über sich selbst ärgerte, weil er doch wieder zu ihr gekommen war. Er hätte es besser wissen müssen, denn sie hatte ihm schon beim ersten Mal deutlich gezeigt, wie sie ihn verabscheute. Damals war er mit der festen Absicht von hier weggegangen, sie nie wiederzusehen. Doch die folgenden Besuche bei Mombert Flühi hatten diesen Vorsatz zunichte gemacht.
Er hatte mehrmals bei dem Böttcher zu Mittag gegessen und dabei mit Hedwig geschäkert, in der Hoffnung, das junge Mädchen würde ihn Marie vergessen lassen. Stattdessen hatte jede Regung, jeder Gesichtsausdruck und jedes Wort von ihr ihm gezeigt, um wie viel schöner, klüger und begehrenswerter ihre Kusine war. An diesem Morgen hatte er es nicht mehr ausgehalten und sich auf den Weg zum Ziegelgraben gemacht. Er hatte sich extra in Schale geworfen, um ihr zu imponieren. Schau her, was ich geworden bin, hatte er ihr damit sagen wollen: selbst ein Ritter gilt kaum mehr als ich. Doch damit war er offensichtlich schlecht angekommen.
Michel ließ seine Augen bewundernd über ihren makellosen Körper wandern und seufzte bekümmert. Irgendwie musste er esschaffen, Marie mit sich zu versöhnen. Wenn es ihm wenigstens gelang, ihr einen Laut der Lust zu entlocken, wäre schon viel gewonnen. Er verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Körperliche Liebe war ihr Geschäft, und da konnte sie ihm vorspielen, wonach ihr gerade zumute war. Nein, er musste einen anderen Weg finden, sie für sich zu gewinnen. Er starrte an die Decke des engen, aber liebevoll eingerichteten Giebelzimmers und hatte plötzlich eine Idee.
»Was hältst du davon, Marie, wenn ich dich zu meiner Mätresse mache und dir ein größeres Zimmer miete, in dem wir beide wohnen können? Dann hättest du endlich Ruhe vor den ungewaschenen Böcken, die dir die Haustür eindrücken.«
»Ich glaube kaum, dass du genug Geld hast, um mich aushalten zu können. Ich bin eine sehr teure Hure.« Es sollte spöttisch klingen, doch dafür schwang zu viel Wut in ihrer Stimme mit. Sie nahm an, dass er sich für ihre Abweisung rächen und sie demütigen wollte, indem er sie mit Haut und Haaren kaufte und sie dann zwang, nur noch für ihn da zu sein.
»Ich bin nicht arm«, versicherte Michel ihr mit naivem Stolz.
»Du müsstest schon das Doppelte von dem springen lassen, was ich am Tag verdiene, und überdies noch für meine Kleider und die Wäsche aufkommen. So viel kann sich noch nicht einmal ein Ritter mit hundert leibeigenen Bauern leisten.«
Michel legte sich neben sie und legte ihr die Rechte sanft auf den Bauch. »Du scheinst nicht zu wissen, wie viel Sold ein Hauptmann der Wachen erhält. Bisher habe ich sehr sparsam gelebt und besitze nun schon ein kleines Vermögen.«
»Wie man an deiner prachtvollen Rüstung und deiner Kleidung sieht«, spottete sie.
»Ich gefalle dir also.« Michel grinste erfreut, was Marie noch mehr ärgerte.
Sie versuchte, einen kühlen Kopf zu behalten. Es war schon verlockend, nur noch einem Mann zu Diensten sein zu müssen,auch wenn das neben dem Bett zumeist Dienstbotenpflichten mit einschloss. Doch abgesehen davon, dass es nicht in ihre Pläne passte, sich in die Hände eines Mannes zu begeben, würde sie diesem aufdringlichen Wirtssohn keine Chance geben, sich täglich vor ihr in die Brust zu werfen und ihr seinen gesellschaftlichen Aufstieg und ihre eigene Schande vor Augen zu führen.
Du wärst der letzte Mann auf der Welt, dem ich mich ausliefern würde, hätte sie ihm am liebsten ins Gesicht geschrien und ihm empfohlen, sich zum Teufel zu scheren. Doch sie durfte sich ihn nicht zum Feind machen. So sah sie ihn nur mit schräg gelegtem Kopf an und hob eine Augenbraue.
»Was heißt hier gefallen? Jeder Hahn sieht in seinem bunten Federkleid prächtig aus. Doch ob er zum Braten oder nur für die Suppe taugt, kann man erst feststellen, wenn man ihn gerupft hat.«
Michel lachte schallend auf. »Wo ist das schüchterne Mädchen geblieben, das ich einmal als Marie Schärerin gekannt habe? Deine Zunge ist so scharf geworden wie ein Schwert.«
»Nicht durch meine Schuld.« Die wenigen Worte
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