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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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nächstgelegenen Gegenstand, der ihr unter die Finger kam, und schleuderte ihn gegen Michel. Es war sein Helm, eine leichte Beckenhaube mit Visier, wie sie auch jene Ritter trugen, denen der schwere Topfhelm älterer Prägung zu schwer und unbequem geworden war.
    Michel fing das Geschoss auf, bevor es ihm Schaden zufügen oder selbst welchen nehmen konnte, und brachte auch den Rest seiner Ausrüstung vor der tobenden Frau in Sicherheit. Um ihren Krallen zu entgehen, flüchtete er nackt und durch seine Sachen behindert die Leiter hinab ins Erdgeschoss.
    Zu seinem Glück blieb Marie oben sitzen, doch ihre Flüche begleiteten ihn, bis er sich angekleidet und das Haus verlassen hatte. Sie kannte eine Vielzahl verschiedener Beschimpfungen. Die meisten hatte sie bei Berta gehört und nie daran gedacht, sie selbst zu benützen. Doch jetzt brachen sie wie ein Wasserfall aus ihr heraus. Sie fühlte sich ebenso schmutzig und so benutzt wie in jener Nacht, in der Siegward von Riedburg und seine beiden Kumpane über sie hergefallen waren. Für den Michel, der wie ein verschreckter Hase davonlief, hatte sie nichts als Verachtung übrig, gleichzeitig aber weinte sie in ihrem Herzen Tränen um den Verlust eines Freundes, der sie einst getröstet hatte, wenn sie traurig gewesen war, und der sie bei ihren gemeinsamen Streifzügen wie ein Ritter vor allen Fährnissen beschützt hatte.

VII.
    I n den nächsten beiden Tagen wirkte Marie, als stünde sie meilenweit neben sich, und ihre Freundinnen mussten sie oftdreimal ansprechen, bevor sie Antwort bekamen. Zu ihren Kunden war sie jedoch freundlicher als sonst, und sie brauchte sich nicht über mangelndes Interesse der Freier zu beklagen, was wie erwartet auch ihren Freundinnen zugute kam. Eigentlich lief alles normal, aber Hiltrud fiel auf, dass Marie sich nicht einmal mit der Aussicht auf Bratwürste in die Stadt locken ließ. Sie fragte sich, was wohl geschehen sein mochte, denn Marie war immer gern über den Markt geschlendert und hatte viel Geld für leckere Dinge ausgegeben. Doch sie kannte den verbissenen Ausdruck in Maries Augen und hütete sich, die Freundin auszufragen. Sie konnte nur hoffen, dass die Laune ihrer Freundin sich von selbst besserte. Aber nicht einmal die Besuche anderer Huren schienen Marie von ihren geheimen Sorgen abzulenken.
    Am häufigsten kam Madeleine vorbei, um ein Schwätzchen zu halten und den neuesten Klatsch auszutauschen. Auch Nina und Helma tauchten immer wieder auf, meist, um sich über ihren Hurenwirt zu beschweren. In dem Bordell, in dem sie untergebracht waren, verdienten sie zwar sehr viel Geld, doch den größten Teil zog ihnen der Wirt für Miete und Verpflegung wieder aus der Tasche. Jetzt bereuten sie, nicht mit Hiltrud, Marie und Kordula in das kleine Haus gezogen zu sein. Es kostete zwar eine horrend hohe Miete, doch das käme sie trotzdem viel billiger als ihr immer unverschämter auftretender Wirt, der ihnen zu allen anderen Forderungen auch noch drei Schilling abnahm, wenn sie einen Freier abwiesen.
    Marie hätte vieles von dem, was die beiden ehemaligen Reisegefährtinnen ihr erzählten, für übertrieben gehalten, doch Madeleine bestätigte ihre Aussagen. Die Französin lebte als offizielle Mätresse eines hohen Herrn in einem Zimmer, das dieser in einem Konstanzer Bürgerhaus für sie gemietet hatte. Sie dachte aber nicht daran, ihrem Gönner treu zu sein, sondern besserte ihre Einnahmen stundenweise in einem Bordell auf, in dem siesich eine Kammer mit zwei anderen Frauen teilte, die ebenfalls feste Liebhaber hatten.
    Marie hielt nichts von einem solchen Doppelleben, das je nach Temperament des gehörnten Gönners schlimm ausgehen konnte, doch Madeleine lachte über ihre Bedenken. »Pah, was soll ich herumsitzen und warten, bis er sich herablässt, zu mir zu kommen? Dafür bin ich zu gut. Zudem liebt Monseigneur es auf nicht alltägliche Weise.«
    Sie spitzte dabei die Lippen zum Kussmund und zwinkerte den anderen Huren verschwörerisch zu.
    Madeleine bemerkte Maries Miene, nannte sie ein zimperliches Ding und berichtete lang und breit von ihren Erfahrungen mit anderen Herren von Stand, denen sie als gefälliges Fräulein gedient hatte. Ihr jetziger Freier schien sie weniger aus dem Grund auszuhalten, weil sie bereit war, ihm auf jede Art gefällig zu sein, sondern weil er sich mit ihr in ihrer gemeinsamen Sprache unterhalten konnte. Auf jeden Fall war er sehr großzügig, denn er sorgte dafür, dass Madeleine sich in Stoffe

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