Die Wanderhure
bereit, auch nur einen einzigen Blutstropfen meiner Leute wegen einer Hure zu vergießen. Uns kommt die Situation entgegen, denn Ritter Degenhard wird sich jetzt, wo der Habsburger in Acht und Bann geschlagen ist, gut überlegen, wer seine Freunde sind, und ich bin sicher, dass er sich meinem Gemahl anschließen wird.«
»Gott im Himmel, ich verlange doch nichts Ungebührliches von Euch. Mir geht es nur um Gerechtigkeit.« Marie hatte Mühe, ihren wachsenden Zorn zu zähmen. »Außerdem komme ich nicht mit leeren Händen. Ich weiß, wer das verschollene Testament Eures Oheims Otmar von Mühringen besitzt, und kann es Euch beschaffen.«
Frau Mechthild zeigte deutlich, dass sie ihr nicht glaubte, Ritter Dietmar aber hob interessiert den Kopf und starrte Marie durchdringend an. »Wäre das möglich?«
Da Marie das Testament nicht aus der Hand geben wollte, bevor sie die versprochene Unterstützung für sich und ihren Onkel erhielt, überlegte sie fieberhaft, wie sie weiter vorgehen musste. Da kam ihr eine Idee. »Ich weiß nicht, ob es Euch aufgefallen ist, doch Bruder Jodokus war auf Burg Arnstein sehr von mir angetan.«
»Ich weiß, dass er dir unzüchtige Angebote gemacht hat. Doch die hast du zu deinem Glück ja abgelehnt.« Frau Mechthild ließ deutlich erkennen, dass ihr dieses Thema nicht gefiel.
Marie durfte keine Rücksicht auf die Gefühle der Dame nehmen, wenn sie jetzt weiterkommen wollte. »Ich habe von anderen Huren erfahren, dass Jodokus mich immer noch sucht. Er trägt zwar jetzt einen anderen Namen und soll recht wohlhabend sein. Doch seine Beschreibung ist unverkennbar, und überdies hat er vor einer meiner Freundinnen angegeben, dass er einige Urkunden in der Hand hat, die ihn bald noch reicher machen werden.Dabei kann es sich nur um das gestohlene Testament handeln, mit dem er Magister Ruppertus erpressen will. Wenn Ihr mir helft, werde ich zu ihm gehen und es ihm entwenden.«
Ritter Dietmar rieb sich über das glatt rasierte Kinn und sah seine Frau nachdenklich an. »Vielleicht sollten wir darauf eingehen, meine Liebe. Wenn wir das Testament haben, müsste Konrad von Keilburg Mühringen aufgeben, und das Erbe unseres Sohnes würde sich fast verdoppeln.«
Frau Mechthild hieb mit der Hand durch die Luft, als wolle sie Fliegen verscheuchen. »Ach, das sind doch nur die Hirngespinste einer gefallenen Weibsperson. Ritter Otmars Testament ist längst vernichtet, und selbst wenn wir mit Maries Hilfe Jodokus ausfindig machen würden, gälte das Wort eines davongelaufenen Mönches vor Gericht nicht mehr als das einer Hure.«
Marie fühlte, wie der Boden unter ihren Füßen nachgab. Wenn die Arnsteiner ihr nicht halfen, würde sie nirgendwo Gehör finden. Gleichzeitig fühlte sie Wut wie rote Glut in sich aufsteigen.
»Das sind keine Hirngespinste, Frau Mechthild. Ich kann und ich werde Euch das Testament beschaffen.«
»Versprechen sind leicht gegeben, aber nur schwer zu halten. Glaubst du wirklich, ich würde mir auf das Wort einer Hure hin Ritter Degenhard zum Feind machen? Du solltest jetzt besser gehen, ehe ich bedaure, dich empfangen zu haben.«
Das klang so endgültig, dass Marie nicht mehr versuchte, sie umzustimmen. Sie blickte Ritter Dietmar fragend an, aber der schüttelte nur bedauernd den Kopf und schien in Gedanken der schönen Herrschaft Mühringen Ade zu sagen. Zum ersten Mal fand Marie es höchst störend, dass die Burgherrin von Arnstein in ihrer Ehe die Hosen anhatte und Ritter Dietmar sich nach ihren Ratschlägen richtete. So verabschiedete sie sich in einem Ton, der einem so hochgestellten Paar wie der Herrin und dem Herrn von Arnstein gegenüber nicht angebracht war, und stürmte zornglühend aus dem Zimmer. Guda, die sie in die Mägdekammerholen wollte, um ein wenig mit ihr zu plauschen, prallte vor ihrem wutverzerrten Gesicht zurück.
XVII.
M arie hatte fest mit der Hilfe der Arnsteiner gerechnet und stand jetzt vor einem Scherbenhaufen. Der Prozess gegen ihren Onkel würde in den nächsten Tagen damit beginnen, dass man ihn folterte, um sein Geständnis zu erzwingen, um ihn danach auf möglichst widerliche Weise zu Tode zu bringen. Marie hatte Richtstätten bisher gemieden, auf denen der Tod eines Delinquenten zu einem Volksfest wurde, und ihr Magen hob sich allein bei dem Gedanken an das, was andere Huren ihr erzählt hatten. Jetzt fühlte sie sich als Versagerin. Tränen der Wut und Verzweiflung stiegen ihr in die Augen und machten sie blind. Sie stolperte gegen einen
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