Die Wanderhure
geworden, denke ich. Aber diesmal mache ich dem Kerl und seinen Helfershelfern einen dicken Strich durch die Rechnung.«
Hedwig zuckte unter dem harten Klang ihrer Worte zusammen und erinnerte sich gleichzeitig, womit der Mann gestern Abend ihr Vertrauen erschlichen hatte. »Was ist mit meinen Eltern? Der Diener des Abtes hat gesagt, meine Mutter würde freigelassen, und man würde auch meinen Vater gnädig behandeln. War das auch eine Lüge?«
»Leider ja. Als angeblicher Mörder eines adligen Herrn wird man deinen Vater der Tortur unterwerfen und ihn auf eine möglichst scheußliche Art zu Tode bringen. Aber noch ist es nicht so weit. Es gibt Beweise, dass ein anderer Mann den Junker umgebracht hat.« Marie lächelte geradezu satanisch, so dass Hedwig erschrocken von ihr zurückwich.
»Wilmar ist der Ansicht, dass euer Lehrling Melcher mit der Sache zu tun hat. Wenn wir den Kerl in die Hände bekommen, können wir die Unschuld deines Vaters beweisen.« Michel gab sich zuversichtlicher, als er war.
Marie schnaubte verächtlich. »Solange wir keine Fürsprecher bei den Behörden haben, wird sich niemand die Aussage des Burschen anhören. Daher werde ich mich jetzt nach Verbündeten umsehen.«
Sie stand auf und ging zur Tür, um die Leiter hinabzusteigen. Auf halbem Weg blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zu ihrer Base um. »Michel wird dir sagen, wie du dich ab jetzt verhalten musst. Bitte höre auf ihn, Hedwig. Es darf dich niemand sehen, denn wenn die Büttel dich finden, werden sie dich auf der Stelle Abt Hugo ausliefern. Über diesen Mann habe ich Dinge gehört, die du besser nicht wissen solltest.«
Hedwig sah sie verständnislos an, nickte aber brav und versprach Marie, ihr und Michel in allen Dingen zu gehorchen. Mit einem zweifelnden Seufzer verließ Marie das Haus und rannte so hastig durch die Stadt, dass einige ihrer Freier ihr verwundert nachblickten.
Als sie das Haus gefunden hatte, in dem die Arnsteiner untergekommen waren, blieb sie zögernd stehen und überlegte, ob sie richtig handelte. Vielleicht hätte sie das Testament Otmars von Mühringen gleich mitbringen sollen. Doch die Vorsicht, die sie sich in den harten Jahren als Wanderhure angeeignet hatte, ließ das nicht zu. Konstanz wimmelte von Dieben und Beutelschneidern, die hinter jedem wertvoll aussehenden Gegenstand her waren. Deswegen war es ihr lieber, wenn Ritter Dietmars Burgvogt Giso mit einigen seiner Reisigen die Urkunde abholte und sicher zu den Arnsteinern brachte.
Sie gab sich einen Ruck, trat an die Tür des Gebäudes, auf dessen vorspringendem Giebel das Relief eines großen, kunstvoll gearbeiteten Fisches aus Schmiedeeisen prangte, und schlug den Türklopfer an.
Eine Magd öffnete ihr und wollte die Tür sofort wieder zuwerfen, als sie eine Hure vor sich sah.
Marie stellte den Fuß dazwischen. »Ich suche Ritter Dietmar von Arnstein oder Frau Mechthild.«
Die Magd schürzte geringschätzig die Lippen. »Die werden so etwas wie dich wohl kaum sehen wollen.«
»Das hast nicht du zu entscheiden. Also lass mich ein.«
Da die Magd keine Anstalten machte, den Weg freizugeben, versuchte Marie es weiter. »Ich bleibe hier an der Tür stehen, bis du mich bei den Herrschaften angemeldet hast. Sag ihnen, die Marie, die den vorletzten Winter auf ihrer Burg verbrachte, wolle sie sprechen.«
Die Ruhe und Ernsthaftigkeit in Maries Worten ließ die Bedienstete schwankend werden. »Also gut, ich werde die KammerfrauderHerrin fragen, ob ich dich einlassen darf. Aber nimm zuerst den Fuß aus der Tür.«
»Die Kammerfrau, ist das immer noch Guda?« Als die Magd nickte, atmete Marie unwillkürlich auf und trat zurück.
Die Magd schloss das Tor, schob aber den Riegel nur halb vor und eilte davon. Keine Minute später ging die Tür wieder auf.
»Marie! Tatsächlich, du bist es.«
»Guda! Wie freut es mich, dich zu sehen.« Marie hätte Mechthild von Arnsteins Kammerfrau am liebsten vor Freude umarmt, beschränkte sich aber darauf, einen Knicks anzudeuten.
»Komm herein«, forderte Guda sie auf, »und lass dich betrachten. Gut siehst du aus. Dir scheint es seit Arnstein nicht schlecht ergangen zu sein.«
Marie lächelte über diese überschwänglichen Worte. Guda schien sich kein Bild vom Leben einer Wanderhure machen zu können. Sie war jedoch froh, so herzlich empfangen worden zu sein, und fragte die Kammerfrau nach ihrer Herrin.
Gudas Miene glänzte vor Freude. »Frau Mechthild geht es gut und unserem Sonnenschein
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