Die Wanderhure
warum wir mit Hurenbändern herumlaufen und Konstanz sofort nach Ende des Konzils verlassen müssen, während die hiesigen Weiber hinterher wieder die braven Bürgersfrauen spielen dürfen. Und sollte ein Donnerwetter dreinschlagen und all die geldgierigen Weiber hier unser Schicksal teilen müssen, gibt es hinterher so viele Huren, dass die meisten von uns verhungern müssen.«
Helma klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Es geht nicht nur um die Hurerei der Bürgerinnenund Mägde. Inzwischen glauben die meisten Männer, jede Frau und jedes Mädchen in Konstanz wäre eine wohlfeile Ware, deren Nein nur den Preis treiben soll. Gestern wurde schon wieder ein junges Mädchen von ein paar Kerlen ins Gebüsch geschleift und vergewaltigt. Bis die Büttel kamen, waren die Schufte längst über alle Berge.«
»Und wie war das vor drei Tagen?«, rief eine andere Hure durch das Fenster herein. »Da hat ein Junker eine Bürgerstochter auf dem Weg zur Kirche entführt, nach Überlingen verschleppt und hält sie dort immer noch gefangen. So etwas ist ja nicht zum ersten Mal passiert. Ihr habt doch die Geschichte von der Tochter des Böttchermeisters gehört, die man aus dem Ziegelturm entführt hat und die seitdem spurlos verschwunden ist.«
Wie die meisten Frauen nickte auch Marie, doch fiel es ihr schwer, Ärger zu heucheln. Hedwigs Befreiung lag nun schon ein paar Wochen zurück, war aber immer noch eines der häufigsten Gesprächsthemen in den Schenken und auf den Märkten. Man fragte sich, warum die Behörden dem Fall kaum nachgegangen waren und gründlicher nach dem Mädchen und seinen Befreiern gesucht hatten. Michel zufolge hatte auch Hugo von Waldkron, der immer noch bei Ruppert wohnte, nichts unternommen, um Hedwig zu finden. Marie vermutete, dass Alban Pfefferhart vom städtischen Rat den Abt gebremst hatte, um seinen Anteil an dem bösen Spiel unter dem Deckel zu halten.
Hedwig zuliebe hoffte Marie, dass die Versammlung sich bald auflöste, denn das Mädchen steckte nun schon seit Stunden in dem winzigen Verschlag unter dem Giebel, in dem es sich noch nicht einmal umdrehen konnte. Dabei musste es dort oben so heiß sein wie im Fegefeuer. Selbst hier unten herrschte trotz der offenen Fenster eine Hitze, die den Schweiß aus jeder Pore trieb.
Die Stimme einer Frau mit rätischem Akzent hallte so laut in Maries Ohren, dass sie zusammenzuckte. »Ich bin dafür, dass wireineAbordnung zum kaiserlichen Vogt schicken, die ihm die Situation erläutert und ihn um Abhilfe bittet. Er wird einsehen müssen, dass die Bürgersfrauen uns Huren nicht Konkurrenz machen dürfen.«
Madeleine winkte ab. »Ich habe schon mit dem Vogt gesprochen, als er zu Gast bei meinem Monseigneur war. Er hat mir nicht einmal richtig zugehört und sich hinterher noch über mich lustig gemacht.«
»Dann müssen wir den Mann eben dazu zwingen, uns ernst zu nehmen«, rief eine Frau aus Kordulas Zimmer.
Hiltrud, die bisher stumm zugehört hatte, warf den Kopf in den Nacken und lachte bitter auf. »Den Vogt zu etwas zwingen? Das kann nur der Kaiser, und der ist für unsereinen weiter weg als der Mond.«
»Es muss uns etwas einfallen.« Madeleine legte ihre Rechte an die Wange und schien intensiv nachzudenken.
Die Huren starrten die Französin erwartungsvoll an. Auch Marie fragte sich, was die Frau wohl aushecken würde. Wenn sie die Aufmerksamkeit des Vogtes auf die Probleme der Huren lenken wollte, musste es schon eine spektakuläre Maßnahme sein.
Hiltrud tippte Marie an. »Die Uhr von St. Peter hat eben die dritte Nachmittagsstunde geschlagen. Wolltest du dich nicht um diese Zeit mit dem Württemberger treffen?«
Marie starrte Hiltrud entsetzt an. »Mein Gott, das habe ich ganz vergessen.« Sie zwängte sich in den Flur hinaus, verscheuchte zwei Huren, die auf der Leiter standen, und kletterte hoch in ihr Zimmer. Sie hatte dem Württemberger versprochen, ihm heute die letzten Unterlagen aus Jodokus’ Mappe mitzubringen. Den größten Teil hatte sie Stück für Stück unter dem Rock zu ihm geschmuggelt. Jetzt war sie neugierig, zu erfahren, wie er damit gegen den Keilburger und seinen intriganten Halbbruder vorgehen würde.
Als Marie in ihr Zimmer hochkletterte, machten ihr die Hurenso weit Platz, dass sie ihre Truhe öffnen und das Päckchen für den Württemberger herausnehmen konnte. Die Frauen reckten neugierig die Hälse, wandten sich aber enttäuscht ab, als sie nur Kleider und etwas Hausrat zu sehen
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