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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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nähte an einem neuen Kleid. Dabei prüfte sie von Zeit zu Zeit den Zustand ihrer Base. Da sie um ihretwillen alle Freier abweisen musste, war Michel schon früh am Morgen zurückgekehrt und hatte bereits an der Haustür laut und großspurig erklärt, dass Marie ihm heute den ganzen Tag gehören würde. So wurden die Freier, die nach Marie fragten, meist schon von den Eckenstehern aufgeklärt und mussten unverrichteter Dinge abziehen oder mit Hiltrud oder Kordula vorlieb nehmen.
    Michel saß brav zu Maries Füßen und begnügte sich damit, ihrZwirn und Schere zu reichen oder ihr etwas zu trinken zu besorgen, wenn sie danach verlangte. Anders als bei seinen früheren Besuchen war sie bereit, seine Fragen zu beantworten, und erzählte von den fünf Jahren, die sie auf der Landstraße verbracht hatte. Obwohl sie meist einen scherzhaften Ton anschlug, spürte Michel die Schrecken und die Qualen der Erniedrigung, die sie durchlitten hatte, so deutlich, dass sich die Haare an seinen Armen aufrichteten. Einige Male schämte er sich sogar, ein Mann zu sein. Als Marie ihm von den Grausamkeiten der Riedburger Söldner berichtete, dankte er Gott, dass Junker Siegward so bald danach zugrunde gegangen war. Es hätte ihm sonst in den Fingern gejuckt, den Riedburger Satan zum Geschenk zu machen.
    Ein klagender Laut und ein leichtes Zucken um Hedwigs Lippen beendeten das Gespräch. Marie und Michel beugten sich über das Mädchen und warteten gespannt. Es dauerte nicht lange, bis Hedwig die Augen öffnete und verwirrt auf die ungewohnte Umgebung starrte.
    Sie richtete sich ein Stück auf und ließ sich mit einem weiteren Klagelaut wieder zurücksinken. »Oh Gott, mein Kopf tut so weh – und mir ist schlecht.«
    Dann erkannte sie Michel, der ihr aufmunternd zunickte, und sah ihn mit großen Augen an. Sie wollte etwas sagen, aber ihr Blick blieb auf Maries Gesicht hängen.
    »Marie? Bin ich im Himmel? Wann bin ich denn gestorben?«
    Marie lachte und tippte ihrer Base auf die Wange. »Du bist nicht tot, und ich bin es auch nicht.«
    Hedwig versuchte, sich aufzurichten. Michel half ihr, indem er sie stützte und ihr ein Kissen in den Rücken stopfte. Sie lächelte ihn dankbar an und fasste sich dann an den Kopf, als müsse sie ihre Gedanken mit den Händen festhalten. »Was ist passiert? Wie komme ich hierher? Da war doch eben noch der Mann, der mir gesagt hat, ich würde freigelassen?«
    Michel strich ihr tröstend über die Haare. »Das war die Lüge einesgewissenlosen Menschen, der dich zu Abt Hugo bringen sollte.«
    Hedwig stieß ein Wimmern aus. »Gott im Himmel, es war der Knecht des Waldkroners! Wie konnte ich nur so dumm sein?«
    Marie strich ihr mit einer zärtlichen Geste über die Stirn und reichte ihr einen Becher mit verdünntem Wein. »Du warst zu aufgeregt, Kusinchen. Auch wenn du es gemerkt hättest, hätte es dir nicht geholfen, denn Selmo hätte dir den Schlaftrank dann mit Gewalt eingeflößt, um dich ungehindert zu seinem Herrn zu schleppen.«
    Hedwig starrte ihre Kusine ungläubig an. »Aber wie … wieso konnte er mich einfach so abholen, als sei ich ein Stück Tuch, das sein Herr gekauft hat?«
    »Im Grunde warst du etwas Ähnliches.« Marie reichte Hedwig das Pergament, das Michel Selmo abgenommen hatte. »Wie du siehst, hat Alban Pfefferhart, Rat der Stadt Konstanz und Beisitzer des städtischen Gerichts, deine Auslieferung unterschrieben.«
    »Pfefferhart? Das kann ich nicht glauben. Herr Alban ist ein ehrenwerter Mann.« Hedwig schüttelte verwundert den Kopf, doch die Unterschrift auf dem Pergament war eindeutig.
    Marie lachte böse auf. »Nicht alle Menschen sind so, wie sie anderen erscheinen. Möglich, dass Hugo von Waldkron über Dinge Bescheid wusste, die Alban Pfefferhart vor anderen Leuten verbergen will. Aber sei unbesorgt. Ich werde nicht zulassen, dass Schurken deine Lage so ausnutzen, wie sie es bei mir getan haben.«
    Der Wein verlieh Hedwig etwas Farbe und schien auch ihre Lebensgeister zu wecken. »Warum hast du so lange nichts von dir hören lassen? Wir haben alle geglaubt, du seist tot.«
    »Ich glaube nicht, dass ich dir erzählen sollte, was ich die letzten Jahre getrieben habe«, antwortete Marie herb.
    Die Bewegung, die sie dabei machte, ließ die gelben Bänder an ihremRock aufstieben. Jetzt verstand Hedwig, was ihre Base meinte, und senkte beschämt den Kopf. »Es tut mir so Leid.«
    »Dummchen, du kannst ja nichts dafür. Im Gegenteil, du bist ja selbst ein Opfer des gleichen Schurken

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