Die Wanderhure
wurde, schien es mir notwendig zu sein, auch seinen Besitz zu durchsuchen. Dabei fiel mir dieses Schränkchen auf. Wir fanden mehrere Hohlräume, die als Geheimfächer dienen, und brachen einen von ihnen auf. Er enthielt das hier.« Michel überreichte dem Grafen von Württemberg ein mehrfach gesiegeltes Pergament.
Dieser warf einen kurzen Blick darauf und lächelte wie jemand, der eine Annahme bestätigt sieht. »Das ist das echte Testament Ritter Kunos, des Onkels Gottfrieds von Dreieichen, der seinen Besitz angeblich Heinrich von Keilburg vermacht haben sollte.«
Marie war wahrscheinlich die Einzige, die die Erleichterung wahrnahm, die in Graf Eberhards Stimme mitschwang. Mit diesem Fund war Ruppert endgültig überführt. Auch sie war mehr als froh darüber, wenn sie sich auch fragte, weshalb der Mann das belastende Dokument nicht längst vernichtet hatte. Die nächstliegende Erklärung war wohl Erpressung. Ein solches Dokument stellte eine Waffe gegen seinen Bruder dar, für den Fall, dass dieser Rupperts Dienste müde geworden war.
Kuno von Dreieichens Testament war nicht der einzige Fund in Rupperts Schreibschrank. Als die Knechte das wertvolle Möbel auf Befehl des Kaisers hin in Stücke schlugen, kamen noch andere Dokumente zum Vorschein, zusammen mit einem gebundenen Buch aus Büttenpapier, dessen Seiten zu mehr als der Hälfte mit Rupperts klarer Handschrift gefüllt waren.
Sigismund warf einen kurzen Blick hinein und reichte es BischofFriedrich. »Es scheint Latein zu sein, doch die Worte ergeben keinen Sinn.«
Der Bischof krauste die Stirn und starrte auf die erste Seite, murmelte dann etwas und blätterte weiter. Als der Kaiser sich ungeduldig räusperte, sah er erschreckt auf und klappte das Buch mit einem hörbaren Laut zusammen.
»Der Text ist in einem Code geschrieben, wie ihn Kirchenmänner für geheime Aufzeichnungen verwenden. Ruppertus Splendidus hat Tagebuch geführt und alle seine Handlungen darin verzeichnet. Dieses Dokument enthält die Darstellung seiner Verbrechen. Ja, der Mann ist all dessen schuldig, wessen er hier angeklagt wurde, und hat noch viel mehr Unrecht auf sein Gewissen geladen.«
»Dann werden wir über ihn und seine Helfershelfer zu Gericht sitzen.« Der Kaiser schlug zur Bekräftigung auf die Kirchenbank und befahl den Wachen, Ruppert und den Abt von Waldkron zu fesseln und in sein Quartier zu bringen.
VII.
D ie nächsten Tage wurden für Marie zu einem einzigen Albtraum. Man hatte sie ebenfalls in Kaiser Sigismunds Quartier im Kloster Petershausen gebracht und dort in eine Kammer gesperrt. Sie erhielt zwei Mahlzeiten am Tag und etwas Wasser zum Waschen, durfte den Raum aber kein einziges Mal verlassen. Nach den langen Jahren ihrer Wanderschaft erstickten die Wände sie, zumal niemand ihr sagte, was man mit ihr vorhatte. In ihrer Phantasie sah sie sich schon am Schandpfahl hängen und langsam zu Tode gepeitscht werden, während Ruppert in den Kleidern eines Edelmanns triumphierend zusah.
Hätte jemand sie besuchen dürfen, wäre ihre Gefangenschaft nicht ganz so quälend gewesen. Von einer der Nonnen, die siewortkarg versorgten, erfuhr sie nach einigem Drängen, dass eine Hübschlerin, deren Beschreibung auf Hiltrud zutraf, schon mehrfach an der Pforte abgewiesen worden war. Am dritten Tag, kurz bevor Marie, wie sie glaubte, wahnsinnig geworden wäre, gelang es Michel, bis zu ihrer verschlossenen Tür vorzudringen, um sie mit ein paar Neuigkeiten zu trösten. Er berichtete ihr in knappen Worten, dass der Kaiser seine Abreise um ein paar Tage verschoben hatte, um den Prozess gegen Hugo von Waldkron und Ruppertus Splendidus persönlich zu leiten. Man hatte den Grafen Konrad von Keilburg und einige von Rupperts Helfershelfern gefangen gesetzt, darunter Utz, Hunold, Linhard und Melcher. Michel konnte Marie auch schon berichten, dass der Büttel angesichts der Folterwerkzeuge zusammengebrochen war und das Verbrechen an ihr und einige andere Untaten, die er im Auftrag des Magisters begangen hatte, zugegeben hatte. Auch Linhard hatte reumütig gestanden, während Ruppert und Utz trotz der überwältigenden Beweislast alles abstritten. Den hohen Herren um den Kaiser schien es jedoch weniger um die gerechte Bestrafung der Verbrecher zu gehen als um die Aufteilung der reichen Ländereien, die die Keilburger Grafen an sich gebracht hatten.
Letzteres hatte Marie schon vermutet, denn der Lärm, den die sich streitenden Edelleute machten, war bis in ihre Kammer gedrungen. Sie
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