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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Dann dachte sie daran, dass er ja nicht wissen konnte, wohin Hiltrud sie gebracht hatte. Vielleicht suchte er am Rhein nach ihr oder hatte den Weg nach Meßkirch oder Tengen eingeschlagen. Irgendwann aber würde er auch hierher kommen.
    Doch was war, wenn sie mit Hiltrud nach Trossingen ging? Die Stadt lag jenseits der Donau, dort würde ihr Vater sie gewiss nicht vermuten. Aber nach allem, was Hiltrud und der Apotheker ihr erklärt hatten, war ihr klar, dass sie nicht allein zurückbleiben durfte. Obwohl es ihr jedes Mal grauste, wenn Hiltrud einen Freier mit ins Zelt nahm, war die Hure die einzige Person, von der sie Hilfe erwarten konnte. Peter Krautwurz konnte nichts mehr für sie tun, denn seine Frau führte ein strenges Regiment. So blieb ihr nur eine einzige Wahl – sie musste mit Hiltrud ziehen.
    Auf einmal lächelte sie. So schlimm stand es doch noch nicht um sie, denn der Apotheker hatte ihr gesagt, sie müsse noch zwei Wochen warten, bis sie mit Männern schlafen durfte. Bis dahinwürde ihr Vater sie gewiss gefunden haben. Vielleicht traf sie vorher schon auf einen ihr bekannten Kaufherrn, der ihrem Vater eine Nachricht von ihr bringen konnte. Dann würde er endlich wissen, wo er sie suchen musste.
    Der Gedanke richtete Marie etwas auf, bis ihr einfiel, dass sie auf einen Mann treffen könnte, der ihrer Auspeitschung zugesehen hatte. Sie wurde unsicher, ob sie den Mut haben würde, jemanden aus Konstanz anzusprechen. Sie schwankte zwischen Hoffnung auf Rettung und der Aussichtslosigkeit ihrer Lage, bis sie nicht mehr wusste, was sie denken sollte. In diesem Zustand kehrte Marie zum Zelt zurück und legte sich wortlos hin.
    Hiltrud beugte sich zu ihr hinüber, um ihr gute Nacht zu wünschen, und sah, dass Marie zitterte. Sie hätte dem Mädchen so gerne etwas Tröstendes gesagt, doch sie wusste, dass kein Wort der Welt Maries innere Schmerzen lindern konnte. So zog sie sie nur an sich, um sie zu wärmen.
    Am nächsten Morgen half Marie Hiltrud, das Zelt abzubauen und locker auf dem Wagen zu verstauen, damit es über Tag in der Sonne trocknen konnte. Nach einem kargen Frühstück, das aus einem Becher Ziegenmilch und einem trockenen Stück Brot bestand, spannten sie die Ziegen an und wanderten stumm nebeneinander zur Straße.
    Sie mussten nicht lange warten, denn nach kurzer Zeit kamen ihnen eine Reihe Planwagen mit beinahe mannshohen Rädern entgegen, die von je sechs starken Ochsen gezogen wurden. Grinsend deuteten die Treiber auf ihre neuen Begleiterinnen und warfen ihnen anzügliche Bemerkungen zu, die Hiltrud geschickt beantwortete. Die grimmig aussehenden, bewaffneten Wächter hingegen, die den Wagenzug vor Räubern schützen sollten, schenkten den beiden Frauen keinen interessierten Blick, sondern wandten sich schnaubend ab.
    Hiltrud stieß Marie warnend in die Seite. »Von den Kerlen musst du dich fern halten. Am Tag verachten sie dich, und in derNacht schleppen sie dich schneller ins Gebüsch, als du nach Luft schnappen kannst.«
    Dann trat sie auf den Anführer zu, um ihn zu begrüßen. Es war ein breit gebauter Mann mittleren Alters in der schlichten, aber strapazierfähigen Tracht eines reisenden Kaufmanns.
    »Da sind wir, Ulrich. Und hab noch einmal Dank dafür, dass wir mit euch mitkommen dürfen.«
    Ulrich Knöpfli warf dem Ziegengespann einen spöttischen Blick zu. »Ihr werdet euch sputen müssen, wenn ihr mithalten wollt. Wir werden unterwegs nicht anhalten und auf euch warten.«
    »Sei unbesorgt. Wir werden euch nicht aufhalten.« Hiltrud legte lachend das Zugseil um die Schulter, damit sie ihren Ziegen helfen konnte, und reihte sich hinter dem letzten Wagen des Zuges ein.

VI.
    D ie Dämmerung war noch nicht ganz der Nacht gewichen, und doch sprühten die Funken über dem Lagerfeuer schon wie winzige, schnell vergehende Sternschnuppen. Marie hatte den Kopf auf die Knie gestützt und musste daran denken, dass ihr altes Leben ebenso schnell verglüht war. Ihr Blick streifte die vier Frauen, die mit ihr um das Feuer saßen und zuckende Schatten über das Gras warfen. Hiltrud wirkte so gelassen und ruhig wie immer. Sie hielt einen Stecken in das Feuer, um dessen Spitze sie Teig gewickelt hatte. Von Zeit zu Zeit zog sie ihn zurück und prüfte das Brot. Doch sie war erst zufrieden, als die Kruste schwarz verbrannt aussah.
    Sie brach ein Stück ab und hielt es Marie hin. »Das ist dein Anteil.«
    »Danke.« Marie griff danach und zog die Luft durch die Zähne, denn der Brocken war noch

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