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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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»Da kannst du ja gleich den stinkenden Bodo nehmen, den Tonwarenhändler, denn der ist wenigstens unbeweibt. Du bist ein Schaf, Marie. Erich hat eine Frau und einen Stall voll Kinder, zu denen er im Winter zurückkehrt. Er wird dich ausnutzen, dich schlagen, weil es ihm Spaß macht, und dich schließlich an einen anderen verschachern, von dem du auchnicht weißt, ob er dich nicht mitten im Winter auf die Straße stößt oder dich an den nächsten Hurenwirt verkauft. Ich kenne ihn genauso gut wie die meisten anderen Händler, da wir uns immer wieder auf den Märkten begegnen. Wenn du für einen dieser Männer arbeitest, wirst du ihm in allem zu Diensten sein müssen und nicht wissen, wann er dich ohne einen Heller davonschickt. Ich muss sagen, da sind mir meine Kunden lieber. Wenn mich einer falsch anfasst oder mir zu streng riecht, kommt er mir nicht ins Zelt.«
    Marie starrte sie schockiert an. »Du meinst, der freundliche Erich will auch, dass ich …«, stotterte Marie.
    »Darauf kannst du Gift nehmen. Einen so leckeren Bissen wie dich lässt der sich doch nicht entgehen. Die meisten Männer hier auf dem Markt hätten dich gerne zwischen den Schenkeln besucht. Was meinst du, was ich für Angebote für dich erhalten habe? Bei Gott, Mädchen, die Kerle haben dich nur deswegen in Ruhe gelassen, weil du zu mir gehörst. Es hat sich nämlich weit herumgesprochen, dass ich eklig werden kann, wenn man mir schief kommt.«
    »Das verstehe ich nicht. Wieso sollen sie Angst vor dir haben?«
    Ein böses Lächeln huschte über Hiltruds Gesicht. »Vor ein paar Jahren hat ein Fuhrknecht eine junge Hure, die mit mir und ein paar anderen Hübschlerinnen gezogen ist, vergewaltigt und erwürgt, ohne von der Obrigkeit dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ein paar Wochen später geriet er mit einem Schweizer Söldner in Streit. Es kam zu einem Kampf, den er nicht überlebte. Den Schweizer hatten meine Begleiterinnen und ich Tage vor der Tat reihum in unsere Zelte eingeladen und ihn stundenlang verwöhnt.«
    Marie schluckte bei der Vorstellung, fühlte aber gleichzeitig eine seltsame Erleichterung. Wanderhuren waren völlig rechtlos und auf die Gnade und Barmherzigkeit von Bütteln, Marktaufsehern und ähnlichen Leuten angewiesen. Doch wenn sie zusammenhieltenund gelegentlich Freundschaften mit ihren Freiern schlossen, konnten auch sie sich ihrer Haut wehren. Aber ganz allein auf sich gestellt war eine Frau so hilflos und verloren wie ein Küken ohne Henne.
    Stumm und in sich gekehrt folgte sie Hiltrud ins Zelt. Zu viel war auf sie eingestürmt, und es war ihr, als sei sie eine Maus, über die schon der Schatten der Katze fiel.
    In dieser Nacht träumte sie von ihrem Vater. Zunächst schien es, als käme er, sie zu retten, doch kaum hatte sie Hoffnung geschöpft, da verwandelte er sich vor ihren Augen in Ruppert, der sie hohnlachend in die Gosse stieß und sie eine schmutzige Hure nannte. Sie erwachte von ihrem eigenen Schrei und sah Hiltrud als dunklen Schatten über sich gebeugt.
    »Was ist los, Marie?«
    »Es ist nichts. Ich habe nur schlecht geträumt.«
    Hiltrud tastete über Maries Gesicht, bis ihre warme Handfläche auf der Stirn des Mädchens lag. »Fieber hast du Gott sei Dank keines. Versuche, wieder zu schlafen, Marie. Vielleicht hast du Glück, und dein Vater taucht morgen hier auf.«
    »Ich hoffe es.« Marie fasste nach Hiltruds Hand und streichelte sie. »Schlaf du auch schön.«
    Während Hiltrud bald wieder einschlief, lag Marie noch lange wach. Seit ihrem Prozess in Konstanz hatte sie immer wieder an ihren Verlobten denken müssen, und es war ihr von Tag zu Tag mehr bewusst geworden, dass auch er Schuld an ihrem Unglück trug. Sein Anteil war wohl kaum geringer als der der drei Männer, die sie vergewaltigt hatten. Allmählich brachte sie es fertig, mit einer gewissen Distanz an die Ereignisse jener Tage zu denken, und in dieser Nacht schienen sich die Bruchstücke ihrer Erinnerung wie von selbst zu einem Bild zusammenzusetzen.
    Linhard, Utz und Hunold konnten unmöglich auf eigene Faust gehandelt haben. Auch Euphemia hatte sicher nicht von sich aus falsch geschworen und damit ihren Untergang besiegelt. Vor MariesAugen erschien das schmale, stets beherrschte Gesicht des Magisters so deutlich, als stünde er leibhaftig vor ihr. Bei seiner Werbung hatte er keinen freundlichen Blick für sie übrig gehabt, ja, er hatte es sogar vermieden, sie anzusehen, so als wolle er nichts mit ihr zu tun haben. Das deutete

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