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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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glühend heiß. Sie jonglierte ihn inden Händen, während Hiltrud wartete, bis der Rest am Stock abgekühlt war. Das Brot bestand nur aus Mehl und Wasser ohne einen Krümel Salz, doch Marie schlang es hungrig in sich hinein und hätte noch eine Portion benötigt, um ihren knurrenden Magen zu versöhnen. Abgesehen von einem Becher Ziegenmilch war das die erste Mahlzeit an diesem Tag, denn der Handelszug hatte nur Pausen eingelegt, wenn die Tiere getränkt werden mussten, weil Ulrich Knöpfli noch vor Einbruch der Dunkelheit die Herberge hatte erreichen wollen. Jetzt saß er mit anderen Kaufleuten und den Reisenden höheren Standes in der Gaststube, deren vom Licht der Kienspäne erleuchtete Fenster sich deutlich gegen die grauen Mauern abhoben. Die Fuhrknechte und die übrigen Bediensteten hatten im Hof Platz gefunden und tranken dort ihren Wein, während Hiltrud und Marie hochnäsig abgewiesen worden waren und vor dem Tor nächtigen mussten. Zu ihrer Erleichterung hatten sich ihnen drei weitere Huren angeschlossen, denen der Wirt ebenfalls verwehrt hatte, in einer Ecke des Hofes zu lagern.
    An diesem Abend hatte Marie die nächste Lektion im Überlebenskampf auf der Straße gelernt. Der Wirt hatte den Huren nicht nur die Tür gewiesen, sondern ihnen auch mehr Geld für eine dünne Suppe und einen Kanten Brot abverlangt, als er besseren Gästen für ihren Braten abnahm. Hiltrud hatte dem Mann wortlos den Rücken gekehrt und ihr Lager im Schutz einer Weißdornhecke aufgeschlagen, während die anderen Huren sich noch mit den Wirtsknechten stritten. Schließlich hatten die drei Frauen sich ebenfalls zu Hiltrud und Marie gesellt und dankbar Hiltruds Vorschlag angenommen, das Mehl, das sie noch besaßen, zu einem einfachen Teig zu kneten. Das am Stecken gebackene Brot sättigte mindestens ebenso gut wie das Essen des Wirts.
    Während Marie die letzten Krümel von ihren Fingern leckte, musterte sie die drei fremden Huren, die wie Hiltrud schon seitJahren über die Landstraßen zogen. In den letzten Tagen hatte sie eine Ahnung davon bekommen, was es hieß, heimatlos und ausgestoßen zu sein, und fragte sich, wie die Frauen ein solches Leben ertragen konnten. Wandernde Hübschlerinnen wurden schlechter behandelt als die Bettler auf den Treppenstufen der Kirchen. Sie waren der Willkür der Stadtbüttel ausgesetzt, die sie wie lästiges Ungeziefer behandelten, und auf den guten Willen Einzelner angewiesen. Auf dieser kurzen Reise waren ihnen die Tore der Städte und Herbergen verschlossen geblieben, so dass sie unter freiem Himmel oder in Hiltruds Zelt irgendwo zwischen Büschen und unter Bäumen hatten schlafen müssen, nur durch belaubte Zweige vor fremden Augen geschützt.
    In Tuttlingen hatte sie noch eine ganz andere Gefahr kennen gelernt. Dort war ein fetter, glatzköpfiger Mann auf sie zugekommen und hatte sie mit freundlichen Worten in seine Herberge eingeladen. Hiltrud hatte nur gelacht und ihm erklärt, sie habe keine Lust, sich in die Fänge eines Hurenwirts zu begeben, der ihr das sauer verdiente Geld abnehmen und sie schlagen würde, wenn sie ihm nicht gehorchte. Der Mann war schimpfend abgezogen und hatte ihnen aus Rache die Stadtbüttel auf den Hals geschickt, die sie mit wüsten Drohungen von ihrem Lagerplatz vertrieben hatten. In dieser Nacht waren sie gezwungen gewesen, das vom Nieselregen feuchte Zelt im Dunkeln abzubrechen und es ein Stück von der Stadt entfernt in den Uferauen der Donau wieder aufzubauen, ohne ein glimmendes Lagerfeuer vor dem Eingang, das die Mücken fern hielt.
    Inzwischen war Marie klar geworden, dass man ihr in Konstanz mit dem Schandrock ein Kainsmal auf die Stirn gedrückt hatte, das sie unbarmherzig im Bodensatz der menschlichen Gesellschaft festhielt. Nur die Aussätzigen galten noch weniger, aber nur, weil die Gesunden sie aus Angst vor Ansteckung mieden. Eine Hure war begehrt, wenn sie zur gewünschten Zeit am richtigen Ort weilte. Bei Jahrmärkten und großen Kirchenfesten wardie Obrigkeit froh um die Hübschlerinnen oder gefälligen Mägde, wie man sie dann nannte, während sie in der übrigen Zeit als Schwestern des Teufels bezeichnet und oft weggejagt wurden.
    Marie begriff nun auch, dass ihr Vater ihr den Weg zurück in die bürgerliche Gesellschaft mit all seinem Geld nicht mehr erkaufen konnte. Selbst wenn er sie in ihre alten Kleider hüllte, so dass sie unter seinem Schutz wieder ohne die sie stigmatisierenden gelben Bänder reisen konnte, würde sie nirgends mehr als

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