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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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gehen.«
    Fita faltete die Hände wie zu einem Gebet. »Selbstmördern bleibt das Tor ins Himmelreich verschlossen, und ich will mich nicht der Hoffnung berauben, dort oben aufgenommen zu werden. Gott weiß, wie ich leide, und er wird mir gnädig sein. Hat Jesus sich nicht auch Maria Magdalenas angenommen, obwohl sie eine Hure war?«
    Während die Huren sich angeregt unterhielten, öffnete einer der Fuhrknechte das Herbergstor und blickte zu ihnen herüber. Berta stand auf und ging mit wiegenden Hüften auf ihn zu. Die anderen sahen, wie sie ein paar Worte mit dem Mann wechselte und daraufhin mit ihm in den Büschen verschwand.
    Gerlind schüttelte missbilligend den Kopf. »Berta macht es sich zu leicht und verletzt dabei unbedenklich alle Regeln. Das wird ihr noch einmal viel Ärger einbringen.«
    Marie, die bisher stumm zugehört hatte, sah sie fragend an. »Welche Regeln?«
    Gerlind hob die Augenbrauen, als wundere sie sich über Maries Unwissen. »Die ungeschriebenen, die uns das Überleben erleichtern. Auf einem Markt sind wir alle Konkurrentinnen. Dort kann Berta auf jeden Mann zugehen und ihn ansprechen. Wenn wir jedoch zusammen reisen, warten wir, bis ein Mann auf uns zukommt, und sorgen dafür, dass er diejenige nimmt, die in der letzten Zeit am schlechtesten verdient hat. Fita wäre nun an der Reihe gewesen.«
    »Es geht darum, dass jede von uns genug Geld für die Reise besitzt«, setzte Hiltrud hinzu. »Andernfalls gäbe es Streit, wenn eine oder zwei Huren hungern müssten, während der Rest genug zu essen hat. Wir schließen uns gern zu größeren Gruppen zusammen, um gemeinsam von Markt zu Markt zu ziehen. Dann müssen wir nicht ständig bei irgendwelchen Handelsherren oder Anführern anderer Reisegruppen betteln. Zu fünft könnten wir schon recht sicher durch das Land ziehen.« Es klang wie eine Aufforderung an die anderen drei.
    Gerlind musterte Marie skeptisch. »Bei dir hätte ich keine Bedenken, Hiltrud. Doch was ist mit deiner Begleiterin? Sie ist keine von uns.«
    »Marie ist ein armes Kind, dem man ähnlich übel mitgespielt hat wie Fita. Vielleicht noch schlimmer, denn sie wurde brutal vergewaltigt und dabei so verletzt, dass es noch ein, zwei Wochen dauern wird, bis sie arbeiten kann. Sobald sie gesund ist, wird sie genauso anschaffen wie wir.«
    Marie zuckte bei Hiltruds Worten zusammen. Das würde sie niemals tun, dachte sie. Gleichzeitig krampfte ihr Herz sich vor Angst zusammen. Wenn ihr Vater sie nicht rechtzeitig fand, würde ihr keine andere Wahl bleiben, es sei denn, sie folgte dem Rat, den Berta Fita gegeben hatte, und beendete ihr Leben im nächsten Fluss. Dessen Wellen würden gewiss gnädiger mit ihr verfahren als die Menschen.
    Während Marie mit ihrem Schicksal haderte, beratschlagten dieübrigen Frauen, wie es weitergehen sollte. Fita setzte sich sofort für Marie ein, da sie in ihr eine Leidensgefährtin sah. Gerlind ließ sich aber erst nach einigem Zögern zu einem halben Versprechen nötigen.
    »Warten wir ab, was Berta dazu sagt. Wenn sie keine guten Gründe nennen kann, die dagegensprechen, werden wir erst einmal bis zum nächsten Markt zusammenbleiben.«
    Marie dachte an die Nächte, in denen Hiltrud und sie allein in ihrem Zelt geschlafen hatten, während die Leute des Handelsherrn die Sicherheit der Mauern einer Stadt oder einer Herberge genossen. Sie hatte sich jedes Mal angsterfüllt in ihre Decke verkrochen und bei jedem Laut befürchtet, überfallen zu werden. »Ist es denn nicht gefährlich, wenn wir Frauen ohne den Schutz einer Gruppe reisen?«
    »Zu fünft können wir es wagen. Wir sind schließlich keine harmlosen Häschen.«
    Wie zur Bekräftigung hob Gerlind den Stock an, auf den sie sich beim Gehen stützte, und zeigte Marie die eiserne Spitze. »Das Ding kann ich wie einen Spieß einsetzen. Berta hat ein Haumesser in ihrem Gepäck, und Fita trägt einen Dolch unter dem Rock. Damit können wir uns aufdringliche Bettler oder ein paar Räuber durchaus vom Hals halten. Gegen eine größere Bande haben wir natürlich keine Chance, aber da geht es kleineren Wagenzügen auch nicht besser.«
    Hiltrud nickte lächelnd. »Ich sagte dir ja, Kind, dass Hübschlerinnen nicht wehrlos sind.«
    »Hast du denn auch eine Waffe?«, wollte Marie wissen.
    Sie hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, da hielt Hiltrud bereits ihr Beil in der Hand.
    »Reicht dir das? Schließlich hast du schon Holz damit gehackt.«
    »Das Beil habe ich nicht als Waffe angesehen.«
    Marie

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