Die Wanderhure
Jungfräulichkeit beraubt. Am nächsten Tag hat man mich dann als Hure verurteilt, ausgepeitscht und aus meiner Heimatstadt gejagt. Es war … nein, es ist immer noch wie ein Albtraum, der nicht enden will.«
»Ein Albtraum … Ja, so kommt es mir auch vor, wenn ich mir auch sagen muss, dass es bei mir nicht so unerwartet kam.«
Fitas Stimme klang weich, anders als Marie schien sie aber keinen Hass zu empfinden. »Aber ich konnte nichts dagegen tun. Der Meister war so viel stärker als ich und benutzte mich, als wäre es sein gutes Recht. Vielleicht war es das sogar, denn als ich mich zu Hause beklagte, wurde ich gescholten. Meine Eltern meinten nur, ich solle nicht so zimperlich sein. Die Frau des Meisters war zwar streng zu mir, doch sie ließ ihren Mann gewähren. Ich bekam ihre Wut und ihre Eifersucht erst zu spüren, als ich schwanger wurde.«
Fita seufzte tief und berichtete von dem Gerichtsprozess, den ihre Herrin gegen sie angestrengt hatte. »Sie muss mich gehasst haben, weil ihr Mann mir ein Kind gemacht hatte, während sie jeden Tag in die Kirche lief und die Mutter Gottes um Nachwuchs bat, der sich aber nicht einstellen wollte. Nur, was konnte ich dafür? Das Gericht sprach mich der Hurerei schuldig und befahl dem Büttel, streng mit mir zu verfahren.«
Fita starrte Marie durchdringend an. »Weißt du, was das heißt?«
»Nein.«
»Sie haben mich zuerst gebrandmarkt und dann geschlagen, ohne Rücksicht darauf, dass ich schwanger war, und dabei habe ich mein Kind verloren. Ich konnte noch sehen, dass es ein kleinerJunge war. Der Priester, der bei meiner Auspeitschung zugegen war, hat behauptet, das Kind käme sowieso in die Hölle, und so wurde mein Würmchen ungetauft verscharrt. Aber ich bin sicher, dass Gott mein Kleines in den Himmel aufgenommen hat, denn es konnte doch am wenigsten dafür, dass mein Meister mich gezwungen hat, ihm zu Willen zu sein. Ich glaube …«
Fita redete und redete. Sie sprach von ihrem Kind, als würde sie es unsichtbar in ihren Armen wiegen und ihm zusehen, wie es über die Himmelswiese tollte. Marie hielt sie zuerst für verrückt, begriff aber bald, dass eine mit den Lehren der Kirche nicht zu vereinbarende Frömmigkeit aus ihr sprach. Sie schien nur noch am Leben zu sein, um für ihr ungetauftes Kind zu sühnen und sich selbst auf das Himmelreich vorzubereiten.
Während Marie Fitas Lebensgeschichte zuhörte, beneidete sie sie ein wenig. Diese Frau glaubte noch an Gottes Gerechtigkeit und fand Trost im Gebet. Aber was würde ihr bleiben, wenn ihr Vater sie nicht bald fand? Sie besaß keinen Glauben mehr, auch wenn sie immer wieder die Mutter Gottes anrief und sie bat, einen Engel zu schicken, der ihren Vater zu ihr führte und sie aus ihrer Schande erlöste. Aber ihre Gebete waren leere Worte, die ihr keine Hoffnung schenkten.
Nein, Wunder geschahen in dieser Welt nicht mehr. Sie hatte viele Menschen sagen hören, dass all das Unglück, das über die Welt hereinbrach, von jenen drei Männern verursacht wurde, die sich zu Päpsten ausgerufen hatten und sich darum stritten, wer von ihnen der wahre Stellvertreter Christi auf Erden wäre. Es sei die Zeit des Teufels und seiner Dämonen, die die Menschen zu Tieren machten und sie gegen alle Gebote Gottes verstoßen ließen. Bis vor kurzem hatte Marie sich nicht für dieses Gerede interessiert, aber jetzt war sie überzeugt, dass die Leute Recht hatten. Die drei Päpste zerstörten mit ihrem Streit die Erlösung, die Jesus den Menschen gebracht hatte, und gaben die Seelen Satan preis.
Marie scheute plötzlich vor ihren eigenen Gedanken zurück. Wenn sie sich in diese Überzeugung hineinsteigerte, würde sie jeden Halt verlieren und sich selbst aufgeben. Sie wollte aber weder so enden wie Fita noch freiwillig den Tod suchen, sondern weiterhin fest daran glauben, dass sie rechtzeitig gerettet wurde. Sicher war es für ihren Vater nicht leicht, ihrer Spur zu folgen, denn sie war schon weit gelaufen, und er konnte ja nicht wissen, dass sie unter die wandernden Hübschlerinnen geraten war. Wenn er sähe, in welchem Elend sie lebte, das Herz würde ihm brechen.
VII.
A m nächsten Tag stieg die Sonne strahlend hell über einem wolkenlosen Horizont empor und trocknete den Tau, ehe er sich in Dunst verwandeln konnte. Innerhalb kürzester Zeit wurde es so warm, dass Berta zu stöhnen begann.
»Heute wird es wohl noch heißer werden als gestern. Ich schwitze jetzt schon entsetzlich.«
Gerlind blickte besorgt nach oben. »Ich
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