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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Reisig ab, um ihn vor dem Unwetter zu schützen.
    Kaum hatten sie sich eingerichtet, öffneten sich die Schleusen des Himmels. Schon in den letzten Minuten war das letzte Sonnenlicht einer blaugrauen Dämmerung gewichen. Gerlind zeigte auf ein winziges, fahlweißes Wölkchen, das im Westen wie verloren unter einem pechschwarzen Himmel schwebte, und bekreuzigte sich.
    »Bei Gott, wir bekommen tatsächlich Hagel. Wenn wir auf Berta gehört und weitergezogen wären, hätte er uns lange vor der Herberge erwischt.«
    Alle starrten durch die Tür auf die kleine Wolke, die plötzlich in rasender Geschwindigkeit wuchs, dabei quittengelb wurde und schließlich den ganzen westlichen Horizont überspannte. Innerhalb kürzester Zeit erreichte sie auch die Hütte. Im selben Augenblick hörten die fünf Frauen ein eigenartiges Rascheln in den Zweigen der Bäume, das nur wenige Herzschläge später durch ein heftiges Krachen und Knacken übertönt wurde.
    Durch den Türspalt beobachtete Marie ängstlich, wie eigroße Hagelkörner um die Hütte tanzen. Es war nicht das erste Unwetter, welches sie erlebte, doch bisher hatte sie sich unter dem Dach ihres Vaterhauses sicher und geborgen fühlen können. Sie fürchtete, das Hüttendach könnte unter der Wucht der Gewalten einbrechen und sie dem Hagelschlag preisgeben. Vor lauter Angst drückte sie die eine Ziege an sich, die sich unruhig drehte und ausschlug. Hiltrud klammerte sich an die zweite, die in ihren Armen zitterte, und zog ihre Decke hoch, um sich und das brave Tier vor den Urgewalten des Wetters zu schützen.
    Der Hagelsturm hörte ebenso abrupt auf, wie er begonnen hatte. Einen Augenblick vorher hatte es sich noch so angehört, als würde das Dach der Hütte unter der Last der Eiskörner nachgeben. Dann war alles vorbei wie ein böser Spuk. Der Himmel rissauf, und ein erster, noch zaghafter Sonnenstrahl fingerte in die Hütte hinein.
    Gerlind raffte sich als Erste auf und winkte Marie, sich mit ihr gegen die Tür zu stemmen, denn die Hagelkörner hatten sich wie ein Wall um die Hütte gelegt. Als sie hinausgingen, versanken sie mit den Füßen in der knirschenden Masse. Die Eisbrocken waren so kalt, dass Marie fast das Herz stehen blieb. Sie schrie auf und wich erschrocken zurück.
    »Du bist wohl eine ganz Zimperliche«, spottete Berta, die bis zu den Waden in den Hagelkörnern steckte. »Nimm dir ein Beispiel an uns. Wir sind abgehärteter als die Stadtweiber und fallen nicht bei jedem rauen Lüftchen in Ohnmacht.«
    Marie war tatsächlich einer Ohnmacht nahe, trotzdem biss sie die Zähne zusammen und stapfte in die eisige Masse hinaus.
    Hiltrud wies auf die Straße, auf der sich das Weiß der Hagelkörner mit dem Grün abgeschlagener Zweige vermischte. »Das sieht übel aus.«
    Fita schüttelte sich. »Ich fürchte, wir werden hier übernachten müssen. Da kommen wir bestimmt nicht durch.«
    Gerlind sah zum Himmel hoch, der mit jedem Augenblick heller wurde, und spürte die Kraft der Sonne auf ihrer Haut. »Oh doch! In spätestens einer halben Stunde ist von den Hagelkörnern nicht mehr viel zu sehen.«
    »Aber was ist, wenn Bäume umgestürzt sind und die Straße versperren?«, fragte Fita besorgt und zeigte auf Hiltruds Wagen.
    »Dann klettern wir eben hinüber, du Angsthäsin!« Berta schulterte ihr Bündel auf und verließ ebenfalls die Hütte. »Es ist halt ein wenig kühl an den Füßen, aber wenn wir wacker ausschreiten, wird uns schon warm werden.« Mit diesen Worten ging sie los, ohne auf die anderen zu warten.
    Hiltrud räumte ihren Wagen frei und stellte aufatmend fest, dass ihm nichts passiert war. Marie führte die Ziegen heraus und half, sie anzuspannen. Zwar machte eine dicke Schicht aus abgerissenenÄsten und Zweigen, die sich mit den Hagelkörnern zu einem mehr als knöcheltiefen Teppich vermischt hatten, das Gehen zur Qual, aber Gerlind und Fita stapften eifrig hinter Berta her, sahen sich von Zeit zu Zeit jedoch ungeduldig nach ihren zurückgebliebenen Gefährtinnen um. Hiltrud blieb nichts anderes übrig, als sich ein Seil über die Schultern zu werfen und zusammen mit ihren Ziegen den Wagen zu ziehen. Da Marie von hinten schob, kamen sie Schritt für Schritt vorwärts. Jetzt hatten die anderen drei mit ihrem geschulterten Gepäck das leichtere Los. Gerlind und Fita hatten bald ein Einsehen und halfen Marie, die sperrigsten Äste aus dem Weg zu räumen. Zu ihrer Erleichterung mussten sie den Wagen nur einmal über einen quer über der Straße liegenden

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