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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Berta nickte so zufrieden, als habe sie sich eben gegen die ganze Gruppe durchgesetzt, streckte dann die Arme aus und gähnte ausführlich. »Ich bin hundemüde. Wir sollten uns hinlegen.«
    Fita sah sich ängstlich um. »Wäre es nicht besser, wenn eine von uns Wache hält? Die Männer drüben lärmen, als seien sie betrunken, ehrlich gesagt habe ich Angst vor ihnen.«
    Hiltrud nickte zustimmend. »Ich bin auch für eine Wache. Ich traue den Kerlen durchaus zu, uns einen derben Scherz zu spielen.«
    »Marie fängt an«, bestimmte Gerlind, die trotz Bertas großspurigem Auftreten die Führung der Gruppe übernommen hatte. »Sie weckt Fita, diese Berta und die mich. Hiltrud kann dann die Morgenwache übernehmen.«
    Keine der Frauen widersprach. Marie nahm den Stock, den Gerlind ihr anbot, um sich im Notfall verteidigen zu können. Da das Wetter schön war, hatte keine von ihnen ihr Zelt aufgebaut. So wickelten sich die anderen vier in ihre Decken und legten sich dicht an das Lagerfeuer. Marie setzte sich zwischen sie, so dass sie das Tor der Herberge im Auge behalten konnte.
    Von Zeit zu Zeit legte sie ein paar Zweige oder ein Stück von dem halb verfaulten Holzstrunk nach, den Fita und sie kurz vor der Dämmerung im nahen Wald gefunden hatten, und versuchte, einmal nicht an die schrecklichen Stunden in Konstanz zu denken. Die Erinnerung lauerte beständig an den Rändern ihres Bewusstseins und wartete nur darauf, sie zu quälen. Um sich abzulenken, betrachtete sie die schlafenden Frauen und versuchte, sich ihre Meinung über sie zu bilden.
    Was sie von Berta halten sollte, wusste sie bereits. Ihr traute sie nicht über den Weg. Die Frau war nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht und schien an dem Leben als Wanderhure sogar Gefallen zu finden. Das mochte daran liegen, dass sie nie etwas anderes gekannt hatte. Fita hingegen sah das, was mit ihr geschah, als eine Art Fegefeuer auf Erden an und schien zu hoffen, dass das Leiden ihr die ewige Seligkeit einbringen würde. Bertas spöttischen Bemerkungen zufolge steckte die junge Hure den größten Teil ihres Verdiensts in die Opferstöcke der wenigen Kirchen, die ihr an den Markttagen offen standen. Da sie als Hure nicht sehr geschickt war und weniger Freier anzog als die anderen, musste sie deswegen oft hungern oder Kunden bedienen, dieihr ein Säckchen Mehl oder altbackenes Brot schenkten. Marie fragte sich, ob Fita hoffte, durch diese Entbehrungen einen frühen Tod zu finden.
    Gerlind war schwer einzuschätzen. Sie besaß Witz und eine Art düsteren Humor, gab sich jedoch meist kühl und abweisend. Sie musste schon ein ganzes Stück über vierzig sein, wirkte aber nur wenig verbraucht. Das mochte daran liegen, dass sie ihren Unterhalt weniger durch Hurerei bestritt als durch Säfte und Salben, die sie aus allerlei gesammelten Pflanzen braute. Für ihre Medizin gegen unliebsame Schwangerschaften zahlten ihr andere Huren ein kleines Vermögen. Dicke Bäuche stießen die Freier ab, schwächten die Frauen und überhäuften sie mit noch mehr Sorgen, wenn die Kinder am Leben blieben.
    Fita wurde plötzlich unruhig. Sie hob den Kopf, blickte zu den Sternen empor und schälte sich aus ihrer Decke. »Leg dich hin, Marie. Ich übernehme die Wache, denn ich kann sowieso nicht schlafen.«
    Marie stieß einen Stock ins Feuer, um Fita in den aufstiebenden Funken besser sehen zu können. »Es ist sicher noch keine halbe Stunde vergangen.«
    »Eher eine ganze.« Fita deckte die Glut mit einer Hand voll trockenem Laub ab und sah zu, wie die Flammen hindurchzüngelten. Ihr Lächeln wirkte in dem unruhigen roten Schein so traurig und schicksalsergeben, als würde sie sogar das Fegefeuer als Erlösung begrüßen.
    Marie zog die Decke fester um die Schultern, denn es war ein kühler Wind aufgekommen. »Ich kann auch noch nicht schlafen. Wir können uns ja ein wenig unterhalten, dann vergeht die Zeit schneller.«
    Fita hob abwehrend die Hände, ließ sie dann aber wieder sinken und nickte. Marie rutschte neben sie und starrte in die Flammen. Fita schien zunächst nicht nach Reden zumute zu sein, doch nach einer Weile fasste sie Maries Hand und streichelte sie.
    »Dich hat man auch im Schandhemd zur Stadt hinausgejagt, nicht wahr?«
    Marie nickte. »Ja. Ich weiß aber immer noch nicht, wie es dazu gekommen ist. Am Abend zuvor bin ich mit der Gewissheit zu Bett gegangen, am nächsten Tag als Braut vor den Altar zu treten. In der Nacht wurde ich jedoch in einen Kerker geschleppt und meiner

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