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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Gesinde vorne an den Fenstern zum Hof zusammengelaufen war, um den unverhofften Besuch anzustarren, gelangte sie ungesehen zu ihrem Beobachtungsposten auf den oberen Treppenstufen. Sie war sicher, dass Ritter Dietmar Ruppert nur an dem Ort empfangen würde, wo die Bilder seiner Vorfahren und die Trophäen aus vielen Schlachten die Macht und das Alter seines Geschlechts zum Ausdruck brachten.
    So war es auch. Kaum hatte sie sich ihr Kleid um die Beine gewickelt, um sich vor der Zugluft zu schützen, führte der Burgherr seinen Besucher herein. Er setzte sich als Erster, so dass er für einen Augenblick wie ein kleiner König auf seinem kunstvoll geschnitzten Hochsitz am oberen Ende der großen Tafel thronte, und ließ sich einen Pokal mit Wein füllen, während Ruppert wie ein Bittsteller warten musste, bis ein Diener ihm einen Stuhl brachte. Dem Magister war nicht anzumerken, ob ihn die Beleidigung getroffen hatte, denn das feine Lächeln wich keinen Augenblick von seinem Gesicht. Er nahm auf dem angebotenen Stuhl Platz, wartete, bis der Diener auch seinen Becher mit Wein gefüllt hatte, und trank dem Burgherrn mit einer Miene zu, als wären sie die besten Freunde.
    »Also, was will Euer Bruder von mir?« Ritter Dietmar gab sich bärbeißig, aber Marie stellte verärgert fest, dass es Ruppert gelungen war, ihn zu beeindrucken, denn jetzt sprach der Ritter den Magister wie einen Gleichrangigen an.
    »Graf Konrad bedauert den Ärger zwischen ihm und Euch und möchte die Sache aus der Welt schaffen.«
    »Er braucht mir nur das zu geben, was mir zusteht«, erwiderte Dietmar barsch.
    Erneut verzogen sich Rupperts Lippen zu einem undurchsichtigen Lächeln. »Leider sieht mein Bruder die Sache anders als Ihr. Er besitzt einen hieb- und stichfesten Vertrag, der ihm Ritter Otmars Besitz zuspricht, und er sieht keinen Grund, darauf zu verzichten.«
    »So? Den sieht er nicht?« Ritter Dietmar fuhr wütend auf und rief lautstark nach seinem Schreiber.
    Marie wollte schon aufspringen und davonlaufen, weil sie dachte, Jodokus käme über den Korridor im Obergeschoss. Zu ihrer Erleichterung aber öffnete sich eine Tür in der Halle, als hätte jemand dahinter gewartet, und der Mönch trat ein. Er trug eine längliche Lederrolle wie eine Kostbarkeit vor sich her und reichte sie seinem Herrn.
    Ritter Dietmar nahm die Rolle entgegen und zog ein Pergament heraus, welches er Ruppert mit dem Ausdruck höchsten Triumphes reichte. »Lest selbst! Hier steht beeidet und gesiegelt, dass mein Onkel mir seinen Besitz vermacht hat und dieses Testament ohne meine Einwilligung nicht ändern kann.«
    Ruppert überflog den Vertrag und verzog unwillig das Gesicht, hatte sich jedoch sofort wieder in der Gewalt. »Das ist Auslegungssache. Nach dem herrschenden Recht ist es jedoch so, dass ein jüngeres Testament mehr gilt als ein älteres. Selbst wenn Ihr vor Gericht geht, erstreitet Ihr Euch mit diesem Vertrag nicht mehr als eine kleine Entschädigung, die in keinem Verhältnis zu den Kosten und dem Ärger steht, die ein Prozess Euch bringen würde.« Er legte das Dokument vor sich auf den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Den Wein würdigte er nun keines Blickes mehr, während Dietmar sich bereits das zweite Mal nachschenken ließ.
    »Aber um der guten Nachbarschaft willen und damit der Streit ein Ende hat …«, Ruppert betonte besonders das Wort Nachbarschaft, »… bietet mein Bruder Euch den Steinwald an.«
    Der Burgherr schlug empört auf den Tisch. »Den Steinwald hater dem Kloster von St. Ottilien gestohlen. Will er Feindschaft zwischen mir und dem Abt säen?«
    »Ihr solltet nicht so voreilig sein. Nicht mein Bruder war es, der den Steinwald dem Kloster vorenthalten hat, sondern Ritter Gottfried selbst, der wider jedes Recht mit Waffengewalt gegen die berechtigten Ansprüche meines Vaters, des Grafen Heinrich, vorging.«
    Für einen Augenblick glaubte Marie wieder die unbarmherzige Stimme zu vernehmen, die sie damals in Konstanz vor Gericht verdammt hatte. Ruppert war ein heimtückischer Feind, der es verstand, seine Gegner mit der Waffe des Wortes niederzukämpfen. Jetzt legte er es offensichtlich darauf an, Ritter Dietmar in die Enge zu treiben. Der Burgherr kaute immer noch an den letzten Worten des Magisters herum, als dieser die Hand hob und weitersprach.
    »Bevor Ihr jetzt Dinge sagt oder tut, die Ihr später bereuen werdet, solltet Ihr mir zuhören. Mein Bruder ist nicht Euer Feind. Er verteidigt nur sein Recht. Ihr

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