Die Wanderhure
Hauptstraße nach Norden, ließen aber die wenigen Wagenzüge und Reisenden, die dem Wetter zu trotzen wagten, ohne Schwierigkeiten passieren. Nur die Reisigen und Dienstmannen, die zu Arnstein oder Rumold von Bürggen gehörten, wurden zu dem jetzt noch gefährlicheren Umweg durch den Sumpf gezwungen. Das waren keine überwältigenden Neuigkeiten, dachte Marie, die sich zu langweilen begann.
In Hiltrud fand sie nur selten eine Gesprächspartnerin, denn die hielt sich meist bei Thomas auf, und wenn sie zurückkam, sprach sie vor allem über ihre Ziegen. Hiltrud freute sich riesig auf die Zicklein, die sie werfen würden. Thomas hatte die beiden seinem besten Bock zugeführt. Es war ein Leben, wie es ihr gefiel, und sie kämpfte immer wieder gegen die Tränen, wenn sie daran dachte,dass die schöne Zeit ausgerechnet zu Beginn des Frühjahrs zu Ende gehen würde.
Marie ließ Hiltrud in dem Glauben, sie hätte sich damit abgefunden, dass Ritter Dietmar und seine Freunde nichts gegen den Keilburger Grafen unternahmen. In Wahrheit hoffte sie immer noch, dass es zu einer Fehde kam. Auch wenn Ruppert die kriegerischen Auseinandersetzungen überlebte, wäre er angeschlagen und damit ein leichteres Opfer für einen Meuchelmörder. So aber musste sie hoffen, einen Mann zu finden, der wagemutig genug war, sich dem Zorn eines der mächtigsten Herren im Land auszusetzen.
Um Hiltrud nicht zu beunruhigen, hing sie diesen Gedanken jedoch nur nach, wenn sie zusammen mit einigen Mägden in der Nähstube saß und an neuer Kleidung für die Herrschaft arbeitete. Es galt, eine Ausstattung für das Kind anzufertigen, das Frau Mechthild in wenigen Wochen zur Welt bringen würde, und mit schönen Stickereien zu versehen. Marie hatte einst genug Übung mit Nadel und Faden besessen, da sie ihre Aussteuer zum größten Teil selbst genäht und verziert hatte. Frau Mechthild war so zufrieden mit ihr, dass sie ihr ein Bündel Stoffreste und gutes Garn geschenkt hatte, genug, um für sich und Hiltrud zwei Kleider, zwei Überwürfe und ein paar Unterhemden zu nähen.
Die Arbeit tat Marie gut, denn sie lenkte sie von ihren düsteren Überlegungen ab. Doch an einem Morgen nach einer besonders schlechten, von Albträumen heimgesuchten Nacht fehlte ihr jegliche Lust, etwas zu tun. Sie hatte ein paar Bänder vor sich liegen, die bestickt werden und die Tücher für das Neugeborene zieren sollten. Aber sie kam nicht recht voran. Immer wieder legte sie die Hände in den Schoß und starrte durch das kleine Fenster ins Freie. Von hier aus konnte man nicht mehr erkennen als ein paar kahle Bäume mit schneebedeckten Kronen und ein Stück der Straße, die zur Burg hochführte, doch der Ausblick gab ihr das Gefühl, nicht eingesperrt zu sein.
Plötzlich zwinkerte sie verwundert. Seit mehr als einer Woche hatte niemand mehr die Burg betreten, der nicht zu ihren Bewohnern oder denen des Meierdorfs gehörte. Jetzt aber näherten sich fremde Reiter. Da sie immer wieder von den Bäumen verdeckt wurden, konnte Marie sie nicht genau zählen, schätzte sie jedoch auf ein gutes Dutzend. Noch während sie überlegte, ob sie Guda auf die Ankömmlinge aufmerksam machen sollte, erscholl das Horn des Türmers.
Die Mägde sprangen auf und eilten ans Fenster. In ihrem Eifer drückten sie einander beiseite, konnten aber nichts erkennen, weil die Reiter bereits hinter der Mauer verschwunden waren. Da Guda ihren Platz verlassen hatte, um ihre Herrin bei der Versorgung der unerwarteten Gäste zu unterstützen, liefen sie wie ein Schwarm Küken den Gang entlang, bis sie ein Fenster erreichten, durch das man den inneren Zwinger überblicken konnte. Als der vorderste Reiter durch das Tor kam und stolz seinen Wimpel hochreckte, rief eine von ihnen überrascht: »Das ist doch das Wappen des Keilburgers. Was suchen die Kerle denn hier bei uns?«
Marie fühlte ihr Herz klopfen. Sie versuchte gar nicht erst, selbst einen Blick hinauszuwerfen, sondern eilte ins Freie und suchte ein Versteck, von dem aus sie die Begrüßung der Reiter beobachten konnte. Da die Besucher das letzte Tor noch nicht erreicht hatten, lief sie über die Zugbrücke in den inneren Teil der Burg und verbarg sich im Futtergang des Stalls, in dem die Pferde der Herrschaften untergebracht waren. Sie schob eine Kiste unter das vergitterte Luftloch und stieg hinauf. Von diesem Platz aus konnte sie alles beobachten, was draußen vorging.
Kaum hatte sie ihren Lauschposten eingenommen, da ritten die Fremden in den
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