Die Wanderhure
bohrte. »Er war mein Bräutigam! Er hatmich um alles gebracht, was ich hatte, und mich zu dem gemacht, was Ihr vor Euch seht.«
Der Griff der Herrin lockerte sich ein wenig. Frau Mechthilds Gesicht drückte Zweifel aus, aber auch Interesse. »Du wirst mir alles berichten, was du über ihn weißt. Komm mit!«
Sie führte Marie in eine Kammer, die eigentlich nur aus einem Erker bestand, von dem aus man den Burghof und Teile des inneren Zwingers einsehen konnte. Außer der steinernen Bank, die unter den drei Fenstern entlanglief und mit Kissen und Decken gut gepolstert war, gab es noch ein zierliches Schränkchen, einen dazu passenden Nähtisch, der mit Intarsienarbeiten verziert war, und eine ebenfalls gepolsterte Fußbank. Schaffelle bedeckten den Boden und verliehen zusammen mit alten, wollenen Wandbehängen dem winzigen Raum die Atmosphäre einer Höhle. Hierhin zog sich die Burgherrin zurück, wenn sie allein sein wollte.
Frau Mechthild befahl Marie, sich auf die linke Bank zu setzen. Dann nahm sie zwei Becher aus dem Schränkchen, füllte sie mit Wein, der in einem Tonkrug bereitstand, und setzte sich so, dass ihr Gesicht im Schatten lag, während Marie von der langsam untergehenden Wintersonne beschienen wurde.
»Jetzt berichte, Hure. Aber ich warne dich! Wenn ich das Gefühl habe, dass du mich belügst, lasse ich kurzen Prozess mit dir machen.«
Marie starrte auf ihre Hände und versuchte, den Kloß herunterzuschlucken, der ihr im Halse saß. Es war weniger die Drohung der Herrin als die Erinnerung, die sie überwältigte und die sie zuerst nur stammeln ließ. Aber als Mechthild ihr ruhig zuhörte, ohne sie zu unterbrechen, fasste sie Vertrauen und sprudelte das, was sie erlebt und erfahren hatte, wie einen Wasserfall heraus. Sie verschwieg nichts, auch nicht die Mordpläne, die sie hegte.
Als sie auf Einzelheiten ihrer Wanderung eingehen wollte, hob die Burgherrin die Hand und kam noch einmal auf Ruppert zu sprechen. Sie ließ Marie alles wiederholen, was mit ihm zusammenhing.Schließlich stand sie auf und hielt sich den Rücken, als müsse sie ihn hindern, unter der Last des Kindes und der Verantwortung durchzubrechen. »Wenn es stimmt, was du gesagt hast, ist unser Feind viel gefährlicher, als wir bisher angenommen haben.«
»Ich schwöre bei allen Heiligen, dass ich die Wahrheit gesprochen habe«, sagte Marie so ruhig, wie sie es bei ihrem inneren Aufruhr vermochte.
»Das hoffe ich für dich. Ich werde einen vertrauenswürdigen Mann nach Konstanz schicken, der sich dort umhören soll. Bis er zurück ist, wirst du die Burg nicht verlassen.« Frau Mechthild stand auf und öffnete die Tür, schloss sie aber noch einmal und legte Marie die Hände auf die Schultern. »Sollte dein Bericht der Wahrheit entsprechen, hat Magister Ruppertus mehr als schändlich an dir gehandelt.«
Marie sah sich wieder mit Utz und den beiden anderen Männern im Turm und schluchzte auf. »Nicht nur er allein.«
»Jetzt nimm dich zusammen, Mädchen!« Frau Mechthild ließ Marie nicht die Zeit, sich ihrem Elend hinzugeben, sondern schickte sie in ihre Kammer und befahl ihr, sich für ihren Gemahl zurechtzumachen. Als Dietmar von seinem Spaziergang zurückkehrte, war er immer noch verärgert und verspürte wenig Lust, mit einer Frau zu schlafen, doch gegen den Willen seiner Gemahlin kam er nicht an.
VII.
M echthild von Arnstein nahm Maries Bericht so ernst, dass sie den vertrauenswürdigsten ihrer Dienstmannen nach Konstanz schickte, nämlich den Burgvogt selbst. Das war für einige Wochen das letzte Ereignis, das ein wenig Aufregung in den normalen Tagesablauf brachte. Die starken Schneefälle hatten nachgelassen,doch nun hielten Frost und Raureif das Land fest im Griff, und eisige Winde wehten über die Höhenzüge. Trotz der Kälte lief Marie Tag für Tag auf den Wehrgängen herum und stieg auf die Türme, um Ausschau zu halten, ob Giso nicht bald zurückkäme. Sie war erleichtert, dass die Burgherrin sie nicht wie eine Gefangene hielt, sondern frei durch die Burganlage streifen ließ, denn sonst hätte sie die Anspannung in ihrem Innern kaum verkraftet.
Hiltrud versuchte, ihr etwas Ablenkung zu verschaffen, und nahm sie mit zu den Ziegenställen. Thomas stellte ihr seine Tiere mit Namen vor, als seien es seine Kinder, und bemühte sich, sie mit allerlei lustigen Geschichten aufzuheitern. Ein paar Tage ging Marie recht gerne hin, denn Thomas wusste sehr kurzweilig zu erzählen, doch bald fühlte sie sich wie ein
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