Die Wanderhure
Eindringling, der das Glück der Freundin störte. Sie begriff, dass sich zwischen den beiden so unterschiedlichen Menschen ein Band gesponnen hatte, das weit über eine normale Freundschaft hinausging. Als sie Hiltrud jedoch vorschlug, sie solle Frau Mechthild bitten, auf Burg Arnstein bleiben zu dürfen, schüttelte ihre Gefährtin heftig den Kopf.
»Nein, das würde nicht gut gehen, auch wenn wir uns sehr gern haben. Thomas ist ein Leibeigener, der keinen Schritt ohne die Erlaubnis seines Herrn tun darf, und mich würde man immer spüren lassen, dass ich eine verachtete Hure bin. Wir genießen den Augenblick und werden die Erinnerung an eine schöne Zeit wahren. Etwas anderes bleibt Menschen wie uns nicht übrig.«
»Das ist schade. Dein Thomas ist ein guter Mensch und wäre dir ein fürsorglicher Gefährte.« Als Marie die Tränen in Hiltruds Augen sah, ahnte sie, wie weh es der Freundin tat, über ihre Gefühle für diesen Mann zu sprechen, und nahm sich vor, das Thema nicht mehr zu berühren. Nach diesem Gespräch begleitete sie ihre Freundin nicht mehr so oft zu den Ziegen. Während Marie ihre Zeit auf den Burgmauern oder in der Nähstube verbrachte,machte die Schwangerschaft der Herrin immer stärker zu schaffen. Mechthild von Arnstein bekämpfte ihre Schwäche jedoch energisch und ließ sich auch von ihrem besorgten Gemahl nicht davon abhalten, überall nach dem Rechten zu sehen.
In der Vorweihnachtszeit begann es wieder heftig zu schneien, und für eine Weile sah es so aus, als würde die Burg völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Mitten im schlimmsten Schneegestöber kehrte Giso endlich von seiner Reise zurück. Frau Mechthild eilte trotz ihres inzwischen sehr unförmigen Leibes in den Hof hinab, um ihn zu begrüßen. Marie folgte der Burgherrin mit einem Becher heißen Würzwein und war froh, dass die Dame genauso gespannt auf Gisos Bericht war wie sie selbst.
Der Burgvogt nahm Marie den Wein ab und stürzte ihn hinunter, ohne ihr mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken. Dann klopfte er sich den Schnee vom Mantel, warf ihn in der Halle einem Bediensteten zu und rieb sich die klammen Hände. »Das ist kein Wetter zum Reisen, Herrin. Aber ich glaube, es hat sich gelohnt. Ich musste noch auf einige wichtige Nachrichten in Konstanz warten, sonst wäre ich vor den Schneefällen hier gewesen und hätte Euch nicht so lange im Ungewissen lassen müssen.«
Frau Mechthild sah ihn befremdet an. »War es so schwierig, etwas über Marie zu erfahren?«
Giso machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber nein. Über sie wusste ich schon nach drei Tagen alles, was es zu erfahren gab. Aber es gibt Neuigkeiten, Herrin, die Euch und Euren Gemahl mehr interessieren werden als das Schicksal dieser Frau. Kaiser Sigismund wird nach Konstanz kommen und sich mindestens drei oder vier Monate dort aufhalten. Das gibt Euch genügend Zeit, dorthin zu reisen und den Streit um Ritter Otmars Testament vor ihn zu bringen.«
»Das ist die beste Nachricht, die ich seit langem erhalten habe.« Frau Mechthild atmete auf und faltete einen Augenblick die Hände zum Gebet. Der Kaiser hielt sich zwar meist in Prag auf,reiste aber öfter zwischen seinen übrigen Besitzungen im Reich hin und her. Um ihm seinen Fall vorzulegen, hätte Ritter Dietmar ihn daher suchen und zu seinem Schutz ein größeres Gefolge mitnehmen müssen. Das aber hätte die Burg von zu vielen kampferprobten Männern entblößt und dem Keilburger die Chance gegeben, Arnstein im Handstreich zu nehmen.
Giso ahnte, welche Gedanken die Burgherrin bewegten. Daher wartete er, bis sie sich wieder gefasst hatte, und nickte ihr aufmunternd zu. »Der Kaiser will in Konstanz ein Konzil abhalten, das wie ein Sturmwind durch die Christenheit fegen und allen Schmutz hinwegfegen soll, allem voran die drei unwürdigen Päpste.«
»Ein Konzil, sagst du, zu Konstanz?« Diese Nachricht überraschte Frau Mechthild so, dass sie ganz vergaß, warum sie Giso in diese Stadt geschickt hatte. Sie fragte ihren Burgvogt noch nach den Einzelheiten, die er erfahren hatte, und wanderte dann in der Halle auf und ab, um das Gehörte zu verarbeiten. Marie, die ihre Ungeduld nicht mehr zügeln konnte, wagte es nun, Giso anzusprechen.
»Hast du etwas über meinen Vater erfahren?«
Das Gesicht des Mannes verdüsterte sich. »Dein Schicksal hat in Konstanz noch hohe Wellen geschlagen. Jeder, den ich fragte, wusste etwas zu berichten. Im Nachhinein ist etlichen Leuten sauer aufgestoßen, wie man
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