Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
ich glaube ich muss mal hinter die Büsche, pinkeln.«
Fahrig sprang er auf die Füße und hastete davon. Arigund hörte ihn merkwürdige Geräusche von sich geben und wollte schon aufstehen und nach ihm sehen, da trat er bereits wieder aus dem Blattwerk heraus. Seine Ohren waren glutrot, und seine Augen hatten jenen eigentümlichen Glanz, den Arigund nur ein einziges Mal vorher gesehen hatte: bei ihrem Vater, als der in den Armen der Thundorferin gelegen hatte. Irritiert stand Arigund auf und meinte: »Ich glaube, wir sollten zurückreiten.«
Reimar wirkte enttäuscht, aber auch irgendwie erleichtert.
»Ja, sonst sorgt man sich noch um uns«, stimmte er zu. Ritterlich hob er Arigund in den Sattel und stieg dann selbst auf. Die meiste Zeit schwiegen sie, doch kurz bevor sie den Weg zur Burg hinaufritten, drängte Reimar sein Reittier dicht an ihre Seite.
»Arigund«, meinte er, »das war wunderschön, das mit dem Küssen meine ich.«
Ein wenig verlegen schaute Arigund zu ihm herüber.
»Das fand ich auch.«
»Wenn ich ein Ritter bin, dann würde ich gern offiziell um dich werben, wenn du damit einverstanden bist.«
»Natürlich bin ich das, mein Ritter.«
Arigund war fest davon überzeugt, man müsste ihr das Glück ansehen, als sie in den Burghof ritt, in dem die Vorbereitungen für die Reise in vollem Gange waren.
*
Der Abritt erfolgte bei strömendem Regen und führte zunächst über welliges Gelände, das von leibeigenen Bauern bewirtschaftet wurde. Auf vielen Feldern stand noch das Korn auf dem Halm, doch die Ähren leuchteten nicht goldgelb, wie sie es sollten, sondern hatten eine dunkelbraune Farbe angenommen. Ein pilziger Geruch ging von den Feldern aus. Diese Körner würden wohl kaum in dem Speicher landen, denn nicht einmal das Vieh konnte sich unbeschadet von ihnen ernähren. Die wenigen Bauern, denen die Reisegesellschaft begegnete, schauten grimmig, verdrückten sich jedoch schnell angesichts der bis an die Zähne bewaffneten Ritter.
Arigund war es bald leid, aus der Sänfte hinaus in den Regen zu starren. Sie fror trotz ihrer wollenen Kleidung erbärmlich. Eustancia und Berta zählten zum zweihundertsten Mal all die Ritter auf, die bei dem Turnier anwesend sein würden, wobei sie es vermutlich genauso wenig wussten wie all die anderen. Bertas Vater hatte Boten mit Einladungen ins ganze Herzogtum und darüber hinaus gesandt. Niemand konnte wissen, wer tatsächlich kommen würde und wer nicht.
»Was machst du eigentlich«, fragte Arigund, der das Gerede gewaltig auf die Nerven fiel, »wenn nicht Wirtho, sondern ein anderer das Turnier gewinnt?«
Berta sah sie irritiert an. »Was soll die Frage? Natürlich wird Wirtho als Sieger aus den Wettbewerben hervorgehen. Wer denn sonst?«
»Nun vielleicht ein älterer, erfahrener Ritter.« Arigund betonte das Wort »älterer«. »Jemand der vielleicht schon an einem richtigen Kampf teilgenommen hat. Ein Kreuzritter vielleicht.«
Berta lachte schrill. »Ach, meine Liebe, wie dumm du doch bist. Es ist viele Jahre her, dass Kaiser Friedrich die Christen in das Heilige Land führte. Ein echter Kreuzritter wäre jetzt ein Methusalem, jemand, der wohl eher den Krückstock als das Schwert in Händen hält.«
»Wenn du dich da nicht täuschst, meine Liebe. Unser Herr Reimar hat auch die vierzig schon weit überschritten und hebt doch so manchen jungen Streiter aus dem Sattel.«
Die Schwestern, die der Unterhaltung stumm gefolgt waren, sahen sich nun an und rutschten nervös hin und her. Schließlich konnte Eustancia nicht mehr an sich halten. »Das stimmt. Ich habe den Herrn letztes Jahr beim Turnier anlässlich Wirthos Schwertleite im Tjost gesehen. Er hat alle anderen in den Staub gezwungen.«
»Und überhaupt standen zum Schluss nur noch die altgedienten Ritter im Ring«, unterstützte ihre Schwester.
»Papperlapapp!«, fuhr Berta sie an. »Mein Vater würde es niemals zulassen, dass ich einem Greis angetraut werde. Und was den Truchsess angeht: Niemand würde wagen, den Burgherren bei seinem eigenen Turnier zu brüskieren. Insofern war der Sieg von Wirthos Vater nicht ganz ehrlich erstritten. In meinem Fall jedoch wird es ganz anders sein. Wirtho wird bis zu seinem letzten Blutstropfen für mich streiten. Ihr werdet es ja sehen.«
Schmollend zog sie sich eine Decke übers Kinn und tat so, als wollte sie ruhen. Arigund musste lächeln.
Kleine Gehässigkeiten erhalten die Feindschaft, dachte sie und schmunzelte. Wenigstens hatte sie nun ihre Ruhe.
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