Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
bei Arigund ein flaues Gefühl im Magen hervorgerufen. Die Überraschungen ihres Vaters waren nicht immer nach ihrem Geschmack, und sie bereute fast, dass sie ihm die Bitte hatte zukommen lassen.
Reimar und Arigund hatten abgemacht, sich kurz vor Sonnenuntergang an der Nordseite des Lagers zu treffen, doch angesichts des Wetters verwarf das Mädchen den Plan. Sie verfasste lediglich ein paar Zeilen auf einem Fetzen Pergament. Berta beobachtete es und meinte verächtlich: »Na, schreibst du ein Gutenachtgedicht für deinen sagenhaften Ritter Reimar?«
Mittlerweile war es ein offenes Geheimnis, dass Wirthos jüngerer Bruder der Patriziertochter den Hof machte. Berta hatte nicht unwesentlich zu seiner Verbreitung beigetragen und einige Details hinzugefügt, die nur ihrem Erfindungsreichtum entsprangen.
»Und wenn, was geht’s dich an?«, konterte Arigund genervt.
»Du weißt aber schon, dass er ohne Land und mit leeren Händen dastehen wird, wenn er seine Schwertleite erhalten hat.«
»Mich stört’s nicht«, meinte Arigund lapidar, »ich brauch nicht aufs Geld zu schauen, sondern kann mir einen Minneritter an meiner Seite leisten, der mir jeden Wunsch von den Augen abliest. Zudem muss das ja nicht so bleiben.«
Berta machte ein Gesicht, als hätte sie in Sauerampfer gebissen. »Manche Menschen schrecken wirklich vor gar nichts zurück, nur um an einen Titel zu kommen.«
»Andere nehmen für eine Burg viel in Kauf«, erwiderte Arigund schlagfertig. Frau Kunigunds Spitz huschte ins Zelt, sah sich kurz um, trippelte zu Berta und schüttelte sich genau vor ihr die Regentropfen aus dem Fell. Berta kreischte auf und lockte damit Frau Kunigund hinter dem Vorhang vor, mit dem man ihren Schlafbereich abgetrennt hatte.
»Was steht ihr herum!«, ermahnte die Burgherrin. »Es ist ja noch gar nichts an Ort und Stelle! Muss ich alles hier selber machen?«
Frau Kunigund klatschte in die Hände, und die Mädchen sprangen auseinander. Hurtig wurden die Truhen in die Mitte des Zeltes gerückt, sodass sie einen provisorischen Tisch bildeten. Mägde trugen Brot, Bier und Schafskäse auf. Die Frauen ließen sich nieder und griffen zu. Als sie das leichte Nachtmahl beinahe beendet hatten, gesellte sich Frau Kunigunds Spielmann zu ihnen. Zunächst gab er einige muntere Weisen zum Besten, dann das Falkenlied des Kürenbergers, bei dem besonders Berta Beifall klatschte. Zum Schluss ließ er zu den sanften Tönen seiner Laute ein Lied erklingen, das noch keine von ihnen kannte.
Ich steh auf der Burgen Zinnen
Und sehne mich so sehr.
Wie könnt ich den Mauern entrinnen,
Damit ich bei dir wär.
Wenn ich ein Vöglein wär
Erhöb ich mich auf Schwingen.
Ich flög nicht weit – nur an dein Herz,
und würd’ beglückt dort singen.
Oh, würdest du dann sanft mich drücken
Wie einen Rubin ans Herz.
So würde mich das sehr beglücken
Und heilen meinen Seelenschmerz.
Der Spielmann erhob sich und erhielt von Frau Kunigund seinen Lohn. Auch die anderen Damen überreichten ihm eine Kleinigkeit. Als die Reihe an Arigund kam, beugte sich der Mann kurz zu ihr herunter, steckte ihr ein Pergament zu und wisperte: »Herr Reimar schickt euch die Strophe, mit den wärmsten Grüßen.«
Arigund strahlte. Der junge Adelsfreie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sie regelmäßig mit Gedichten oder Liedern zu verwöhnen. Allerdings prahlten sie beide nicht damit, wie Berta es getan hätte, vielmehr bewahrte Arigund die Lieder in ihrem Schmuckkästchen auf. An Tagen wie heute holte sie die Pergamente heraus und sang sie leise vor sich hin. Mittlerweile besaß Arigund schon ein ansehnliches Päckchen an herzerwärmenden Liedern. Doch dieses sollte ihr Lieblingslied werden. Es hatte so eine eingängige Melodie, der Sänger zwitscherte wie ein frecher Gimpel. Noch im Einschlafen summte Arigund die Weise. Im Traum flog der scheue Vogel tatsächlich von den Burgzinnen zu ihr herüber. So nahe war er schon ihrer Hand, doch im letzten Augenblick schlug ihn ein Habicht. Nicht mehr als eine seiner Federn streifte ihr Herz.
Arigund schreckte hoch. Eine Weile lag sie reglos unter der Wolldecke, die sich immer noch klamm anfühlte und kaum wärmte, und lauschte in die Nacht. Die Geräusche des nächtlichen Waldes drangen fremd und beängstigend in das Zelt. Mit boshaftem Fauchen fuhr der Wind in die Bäume, ließ Äste brechen und Blätter rauschen. Die Pferde wieherten und stampften unruhig. Die anderen Mädchen schienen nichts zu bemerken. Ihr Atem
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