Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Erneut sah sie nach draußen. Die Landschaft hatte sich verändert. Sie ritten stetig bergab, vor ihnen lag ein ausgedehnter Wald. Schon wenig später ragten die Bäume dunkel und unheimlich über ihnen auf und bildeten eine grüne Wand, die nur schwer zu durchdringen war.
»Wir werden wohl bald unser Nachtlager aufschlagen«, meinte Magdalena, der das Schweigen unangenehm wurde. »Der Herr wird sicher bei Tageslicht das Höllbachtal durchreiten. Nachts streift die Holle mit ihren Heimchen dort umher.«
»Holle? Heimchen? Was soll das denn sein?«
Magdalena machte ein wissendes Gesicht und antwortete altklug: »Die Holle ist ein böser Geist, der die Seelen der ungetauften Kinder um sich schart. Die werfen mit Steinen so groß wie Hausdächer, und ihre Hunde treiben die armen Seelen den Waldschratzen zu.«
»Das denkst du dir jetzt aus, nicht?«, meinte Arigund skeptisch.
Magdalena schüttelte energisch den Kopf. »Bestimmt nicht. Man hat schon so manchen tapferen Burschen mit eingeschlagenem Schädel im Höllbachtal gefunden, das Gesicht zu einer Fratze verzogen.«
»Das ist doch blanker Aberglaube!«, widersprach Arigund heftig, aber in Wirklichkeit war sie nicht halb so furchtlos, wie sie zu wirken hoffte. Auch wenn sie nicht an Geister glaubte, so schauderte sie doch bei dem Gedanken, diesen dichten, finsteren Wald bei Nacht zu durchqueren. Sie fürchtete sich dabei weniger vor den Geistern, als vor Raubgesindel und wilden Tieren. Doch auch der Burgherr schien nichts riskieren zu wollen. Schon am frühen Nachmittag ließ er an einer Lichtung haltmachen und das Lager aufschlagen. Arigund wagte einen zaghaften Versuch, sich die Beine zu vertreten, suchte jedoch rasch wieder Zuflucht in der Sänfte. Es goss immer noch wie aus Kübeln. Knechte versuchten trotz des stürmischen Windes, in dem völlig aufgeweichten Boden die Zelte aufzuschlagen. Sie scheiterten immer wieder, weil ihnen die Zeltplanen aus den Händen gerissen wurden. Endlich stand ein – wenig vertrauenerweckendes – Gebilde mit bebenden Streben und schlagenden Stoffbahnen unter einer mächtigen Eiche, in das man die Damen bat. Den Boden hatten die Bediensteten mit Stroh ausgelegt, aber das hatte sich schon wieder mit Wasser vollgesogen. Arigund kramte in ihrer Reisekiste nach den Holzpantinen, die sie in Regensburg stets unterzuschnallen pflegte, wenn die Straßen unter Wasser standen, und erntete neidische Blicke seitens der Schwestern. Die mussten nun ihre Röcke raffen, damit die Säume nicht vom Dreck verschmierten.
»Hoffentlich schwimmen wir heute Nacht nicht weg«, seufzte die Burgherrin, der man den hinteren Bereich des Zeltes mit Teppichen abgetrennt hatte.
»Und Gott gebe, dass uns diese Zeltstangen nicht auf den Kopf fallen«, meinte Arigund mit einem skeptischen Blick nach oben.
»Ob es wohl möglich sein wird, ein Feuer zu entfachen?«, jammerte Magdalena. »Mir ist schrecklich kalt.«
»Ich fürchte, wir werden kaum einen Scheit trockenes Holz finden, aber ich werde ein paar Knechte ausschicken. Vielleicht haben wir Glück.«
Annelies brachte gemeinsam mit einer anderen Magd Klappliegen herein. Es war ihr schwergefallen, sich von Matthias zu verabschieden, der sich mittlerweile so weit erholt hatte, dass er sich den Pferdeknechten anschließen konnte. Noch glaubte die Zofe seine Hand an ihrer Wange zu spüren, wie sie ihre Abschiedstränen wegwischte.
Arigunds Gedanken waren bei Reimar. Der musste natürlich bei den Rittern reiten und nicht an ihrer Seite. Das Reisegefährt der Damen wurde von Wachknechten flankiert. Der Junge schaffte es nur einmal, ihr kurz zuzuwinken. Nach dem Ritt im Regen sah er aus wie eine Katze, die in den See gefallen war, doch seine Augen leuchteten vor Stolz. Schließlich waren sie auf dem Weg zu seiner Schwertleite. In den letzten Wochen hatte er hart gearbeitet, und seit Arigund dem Waffenmeister hin und wieder einen Regensburger Pfennig zusteckte, hatte der ihn mit noch größerer Hingabe unterrichtet. Reimar schaffte es mittlerweile sogar, die eine oder andere Finte anzuwenden und seinen Gegner niederzustrecken. Alles in allem war er nicht viel schlechter als manch anderer Knappe und würde auf dem Turnier zumindest nicht unangenehm auffallen. Leider war der Herr DeCapella Arigunds Bitte nach einem neuen Schwert nicht nachgekommen. Allerdings hatte er dem Mädchen Nachricht zukommen lassen, dass sie sich auf eine Überraschung freuen könne, wenn sie Burg Heilsberg erreichen. Das Wort hatte
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