Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
würde es nicht überleben, wenn du fortgingest oder wenn man dich gar einem anderen zur Frau gäbe.«
Stürmisch zog der junge Mann seine Angebetete an sich. Sein Gesicht war plötzlich ganz nah an ihrem, und das Mädchen fühlte seinen brennenden Atem an ihrem Hals.
»Arigund, fühlst du nicht auch, dass wir füreinander bestimmt sind? Mein Herz will schier zerspringen vor Freude, wenn ich dich sehe. Niemals mehr möchte ich von dir getrennt sein. Eher stürze ich mich von diesen Burgmauern.«
Verwirrt starrte Arigund Reimar an. So leidenschaftlich hatte sie ihn noch niemals erlebt. Steckte doch mehr »Brennberger« in ihm, als es auf den ersten Blick schien?
»Zu gern würde auch ich dir mein Leben schenken«, flüsterte die Patriziertochter, »aber wird man hier auf dieser Burg unsere Stimmen hören? Du bist der Sohn eines Truchsess, ich eine Bürgerliche. Dein Vater wird niemals seine Zustimmung geben.«
Der Junge lachte verschmitzt: »Das lass nur meine Mutter machen. Glaub mir, sie hat dich in ihr Herz geschlossen. Schon mehrmals habe ich sie deine Tüchtigkeit loben hören. Gewiss würde sie dich gerne auf der Burg halten.«
»Das hat sie gesagt?«, fragte Arigund verwundert.
»Wortwörtlich. Und was meinen Vater angeht: Ich bin ja nur der Zweitgeborene und müsste mich andernfalls wahrscheinlich als ›Fahrender‹ verdingen. Eine ordentliche Mitgift würde ihm zweifellos gefallen und unser Bleiben auf der Burg sicherstellen.«
»Meint deine Mutter«, stellte Arigund nüchtern fest. Immerhin konnte man der Burgherrin den Geschäftssinn nicht absprechen. Sie kaufte sich eine reiche Schwiegertochter, um ihre leeren Schatztruhen zu füllen. Ob sich der Herr DeCapella auf so etwas einlassen würde? Arigund kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Eine Einheirat in ein Adelsgeschlecht würde das Ansehen des Handelshauses in Regensburg erheblich steigern. Wenn sie genauer darüber nachdachte, so konnte dies sogar der eigentliche Grund gewesen sein, weshalb ihr Vater so darauf gedrängt hatte, dass sie nach Brennberg ging. Ein Minnehof bot nicht nur die Möglichkeit, höfische Sitten zu erlernen, sondern auch reichlich Gelegenheit, dass ein Adeliger wenn schon nicht auf ihre Schönheit, dann doch wenigstens auf das Geld ihres Vaters aufmerksam wurde.
Im Gedanken kalkulierte das Mädchen, was sich ihr Vater eine günstige Verbindung kosten lassen würde, und kam zu dem Ergebnis: einiges! Ärger und Hoffnung mischten sich in ihrem Herzen. Doch warum nicht ihr Glück mit den Plänen ihres Vaters verknüpfen? Arigund sah hinunter auf die tiefgrünen Wälder, die grauen Dampf ausatmeten. Noch immer ängstigte sie die Weite der Landschaft. Sie war es gewohnt, in einer Stadt zu wohnen, wo es Straßen gab, die den Weg vorgaben, Häuser mit Kaminen, die einen im Winter wärmten, Märkte, auf denen man alles kaufen konnte, was man zum Leben brauchte.
Aber konnte sie jemals auf einer Burg heimisch werden? Ja, mit Reimar an ihrer Seite würde ihr das wohl gelingen. Allerdings nicht mit einem Wirtho und einer Berta, die auf der Burg das Sagen hatten. Reimar und sie mussten eine andere Möglichkeit finden, gemeinsam durchs Leben zu gehen. Aber dafür mussten sie es erst einmal in die eigenen Hände nehmen, und vielleicht schaffte sie es auch, darin ein Plätzchen für Annelies und Matthias zu finden. In Arigunds Kopf wuchs ein Plan. Noch heute würde sie ein Schreiben an ihren Vater schicken und ihn um ein neues Schwert für Reimar bitten. Mit einer Waffe aus Meister Eisenhuts Werkstatt und einer passenden Rüstung würde Reimar im Tjost eine ganz andere Figur abgeben. Bliebe nur noch die Frage, wer dem angehenden Ritter ein paar Tricks und Kniffe beibringen konnte, um auf einem Turnier zu bestehen, ohne gleich über Wirthos Bärenkräfte oder die Geschicklichkeit eines Waffenmeisters zu verfügen. Arigund sah Reimar in die Augen und meinte mit fester Stimme: »Nun, wir könnten zumindest unser Glück versuchen, aber erst einmal solltest du wohl Ritter werden.«
*
Annelies schlüpfte leise durch die Öffnung der einfachen Hütte, in die man Matthias mehr tot als lebendig gebracht hatte. Es war bereits später Abend. Die Zofe hatte sich über eine schmale Hintertür von der Burg geschlichen und dafür den Wachknecht mit einem Krug Bier bestochen. Ohne eine Fackel hatte sie sich den rutschigen Pfad zur Hütte des Pferdehirten hinuntergetastet. Die Hütte selbst war nicht schwer zu finden. Sie lag unweit der Weide für
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