Die Wanifen
lächelte. Er sah fast genauso aus, wie als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte – mit einem Unterschied: Sein lockiges Haar hatte sich verfärbt und war jetzt so weiß wie der Schnee. Nicht eine einzige rotbraune Strähne war geblieben.
Für einen winzigen Moment erhaschte ich einen Blick auf sein Handgelenk. Ein Hermelinenwór … Nicht, dass mich das sonderlich überraschte. Unglaublich schnell verschwand von einem Wimpernschlag zum anderen … und Himmel, offensichtlich änderte sich im Winter sogar seine Haarfarbe wie das Fell eines Hermelins von rotbraun auf weiß.
»Du hast es also geschafft, am Leben zu bleiben«, sagte Rainelf lächelnd. »Ich dachte schon, ich verschwende hier meine Zeit.«
Ich senkte meinen Stab und musterte ihn von oben bis unten. Trotz der klirrenden Kälte ging er noch immer barfuß und trug das gleiche ärmellose Hemd wie bei unserer ersten Begegnung. Seinen Lärchenstab hielt er locker in der rechten Hand.
»Woher wusstest du, wie du mich finden kannst?«
»Du selbst hast mir erzählt, wohin du gehst, weißt du noch?«, sagte er. »Und du hast mir dein nettes Gedicht aufgesagt, alles Weitere war leicht herauszufinden.«
»So leicht auch wieder nicht«, brummte ich verlegen.
Allmählich machte sich Erleichterung in mir breit. Der Eindringling, vor dem ich mich gefürchtet hatte, war niemand anderes als Rainelf. Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte mir in den vergangenen Monaten schon oft gewünscht, ihn wiederzusehen.
Seine Miene wirkte ernst, soweit ich das im Feuerschein erkennen konnte. Ich wunderte mich, wie er allein im Wald überlebt hatte, ohne sein Volk, jetzt wo es Winter war.
»Wo bist du die letzten Monate gewesen?«
»Ainwa, wir haben keine Zeit, um Erfahrungen auszutauschen. Ich bin hier, um dich zu warnen. Dein Volk braucht deine Hilfe.«
Ich lachte kurz auf. »Glaub mir, es gibt nichts, was die Ata von mir wollen.«
»Du irrst dich«, sagte Rainelf leise. »Schlimme Dinge sind passiert, seit du fort bist.«
»Was für … Dinge?«, fragte ich beunruhigt.
Rainelf seufzte.
»Ainwa, gestern Morgen ist Ataheim von einer Horde Tráuna überfallen worden.«
»Tráuna? Seit der Zeit des ersten Elchenbands gibt es keinen Krieg mehr zwischen Ata und Tráuna.«
»Trotzdem ist es geschehen«, sagte Rainelf. »Es passierte viel zu schnell, viel zu unerwartet. Sie hatten keine Chance.«
»Was soll das heißen?«, fragte ich unsicher. Ich spürte, wie mir eisige Schauder über den Rücken liefen. In meinen Gedanken entstanden furchtbare Bilder. Ein brennendes Dorf. Ein Krieger, der Alfanger einen Speer in die Brust rammte …
»Ein paar wurden getötet«, antwortete Rainelf. »Der Rest …«, er zuckte mit den Schultern. »Euer Häuptling hat sich ihnen ergeben, um das Leben der Übrigen zu retten.«
»Aber …« Das alles schien mir wie ein böser Traum.
»Wieso? Wieso jetzt, ich meine … Sie hatten überhaupt keinen Grund.«
»Die Gründe liegen im Dunkeln«, murmelte Rainelf. »Ich weiß nur eines: Bei den Tráuna leben zwei junge Wanifen, nur ein paar Jahre älter als du. Vor einigen Wochen töteten sie ihren Häuptling aus heiterem Himmel und rissen die Kontrolle über den Stamm an sich.«
»Warum haben sie das getan?«
»Ich weiß es nicht, Ainwa«, sagte Rainelf ungeduldig. »Aber während wir sprechen, entscheidet sich das Schicksal deiner Leute.«
»Du hast recht.« Ich blickte auf. »Ich muss es Kauket erzählen, er wird wissen, was zu tun ist.«
»Ist er ein Uruku?«
»Ja …«
Ich war nicht sicher, ob ich Rainelf mehr über das Geheimnis der Urukus erzählen durfte.
»Ausgezeichnet. Wo ist er?«, fragte er und sah sich um.
»Er wird erst in ein oder zwei Tagen zurückkehren.«
Rainelf fixierte mich.
»So viel Zeit hast du nicht, Ainwa!«
»Ich verstehe … Rainelf, wie können wir sie retten?«
Rainelf schüttelte unmerklich den Kopf und wich einen kleinen Schritt vor mir zurück.
»Es gibt kein wir in dieser Sache, Ainwa.«
»Aber ich brauche deine Hilfe«, sagte ich und machte einen Schritt auf ihn zu. »Allein kann ich doch nichts gegen eine ganze Horde von Kriegern unternehmen.«
»Du wirst Ata zu Hilfe rufen müssen … und beten, dass sein Zorn nicht auch dich verschlingt.«
»Ata hat mich verlassen«, rief ich. »Der Percht ist alles, was ich habe – und in der Menschenwelt ist er machtlos.«
»Wie kann das sein?«
»Keine Ahnung«, schrie ich händeringend.
Ein Hauch von Betroffenheit zeigte sich auf Rainelfs
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