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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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dass ich mich stundenlang durch den winterlichen Wald würde kämpfen müssen. So kam ich also nur quälend langsam voran. Wenn ich ein so begabter Wandler wie Rainelf gewesen wäre, hätte ich die Strecke in der Geisterwelt bestimmt viel schneller zurücklegen können. Doch selbst dann … In Ataheim gab es keinen Kraftplatz. Wie hätte ich denn wieder herauskommen sollen?
    Ein kalter Morgen graute, während ich mich über die Berghänge hinunterkämpfte. Ich hatte gehofft, Ataheim vor Tagesanbruch zu erreichen, um zumindest den Vorteil der Dunkelheit auf meiner Seite zu haben, aber dazu kam ich nicht schnell genug voran. Nun, zumindest konnte ich jetzt die Fackel wegwerfen.
    Ein lautes Schnauben ließ mich verharren. Sofort duckte ich mich in den Schatten einer Fichte und spannte meinen Eibenbogen.
    Als ich vorsichtig an dem dicken Baumstamm vorbeilugte, erkannte ich eine kleine Gruppe Wisente auf einer Lichtung, etwa fünfzig Schritte vor mir.
    Zwei Kühe scharrten mit den Hufen den Schnee beiseite, um an das Gras darunter zu kommen. Ein halbwüchsiger Bulle schüttelte sich übermütig den Schnee aus seinem dichten Winterpelz.
    Nur einer der Wisente hatte mich offenbar gewittert. Ein alter Bulle, vermutlich der Anführer der Gruppe. Er war fast doppelt so groß wie das Jungtier. Sein mächtiges Haupt ruckte in die Höhe. Er schnaubte und eine Dampfwolke quoll aus seinen Nüstern. In dem langen Fell an seiner Kehle hatten sich Eiszapfen gebildet. Er rollte mit den Augen und scharrte angriffslustig im Schnee.
    Ich senkte meinen Bogen vorsichtig und hängte ihn mir wieder über den Rücken. Wie schön diese Tiere waren … War mir das früher jemals aufgefallen? Vermutlich nicht, da ich ihren Anblick immer mit der unangenehmen Erinnerung an meine erste Jagd verbunden hatte, den einohrigen Wisentbullen, der in Panik geraten war und Weyref durch die Luft geschleudert hatte.
    Moment … Ich kniff die Augen zusammen. Spielten mir meine Augen einen Streich? Ich duckte mich wieder hinter den Baum, als der Bulle einen Scheinangriff ausführte, und ein paar Schritte in meine Richtung stürmte, nur, um dann wieder abzudrehen.
    Nein, ich hatte richtig gesehen. Diesem Bullen fehlte ein Ohr, das rechte Ohr … War das möglich? War das der Bulle, der in dem Frühling vor fast drei Jahren die große Herde am Nordufer geführt hatte?
    Ich presste mich gegen den Baumstamm und ergriff meinen Stab mit beiden Händen. Kaukets Urgroßvater Schepsi war ein Meister darin gewesen, das Vertrauen von Tieren zu gewinnen. Kauket hatte sich diese Fähigkeit von ihm abgeschaut.
    Ich dagegen hatte keine Ahnung, wie man das machte – aber damals, bei meiner ersten Jagd … War es möglich, dass ich damals unbewusst …?
    Nein, Ainwa, zu viele Wenns und Abers. Du musst Ataheim in einem Stück erreichen.
    Und doch … Vielleicht konnte man nicht immer auf Sicherheit vertrauen. Vielleicht musste man in aussichtslosen Situationen etwas wagen, etwas Verrücktes, das noch niemand vorher gewagt hatte – etwas Außergewöhnliches.

Kapitel 14
    Gmund und Gerla
     
     
     
    » T reibt sie zusammen«, brüllte Kmaun im scharfen Dialekt der Tráuna. »Gmund und Gerla wollen sie sich ansehen!«
    Kmaun beobachtete, wie die Tráunakrieger die gefangenen Ata mit ihren Speeren auf die leere Fläche vor dem Dorf trieben, auf der bereits die Kinder und die Alten im Schnee kauerten. Die Kleinsten von ihnen blickten mit großen Augen zu den bewaffneten Männern mit den rußgeschwärzten Gesichtern auf. Er genoss die Angst in ihren Mienen.
    Sie hatten den Widerstand der Ata gestern problemlos hinweggefegt mit kaum mehr als einem Fingerschnippen. Die Handvoll Männer, die geistesgegenwärtig genug gewesen waren, sich zu wehren, hatten dafür entweder mit dem Leben bezahlt  oder waren verletzt. Glücklicherweise war es ihm gelungen, dieses Mädchen zu retten. Kmaun hatte noch nie eine Frau wie sie gesehen. In der vordersten Verteidigungslinie war sie auf ihn zugestürmt, mit dem Speer in der Hand, bereit für ihre Leute zu sterben. Es war ihm gelungen sie niederzuschlagen, ohne sie ernsthaft zu verletzen.
    Sie kniete mit einer Speerspitze eines Kriegers im Rücken aufrecht im Schnee. Die rechte Hälfte ihres Gesichts war von seinem Faustschlag blau angelaufen. Sie erwiderte seinen Blick mit stummer Verachtung. Geradeso, als wäre er ihr Gefangener und nicht umgekehrt. Er würde sie für sich beanspruchen, sobald diese Sache erledigt war.
    »Schenk diesem

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