Die Wanifen
Häuptling hinüber. Er legte die Hände auf seine Schulter und rammte ihm sein Knie in den Rücken. Der Mann stöhnte und stützte sich mit seiner unverletzten Hand im Schnee ab.
»Du hast kein Recht, mich anzusprechen, Gewöhnlicher«, sagte Gerla kühl.
»Mädchen«, meinte der Häuptling der Ata gepresst. »Schau dir an, was du getan hast. Seit Hunderten Sommern leben wir in Frieden. Eurem Häuptling habe ich die Hand gereicht. Das alles habt ihr zunichtegemacht. Jetzt sind Dutzende Menschen tot. Von deinem und von meinem Volk. Noch kannst du diesen Wahnsinn beenden. Geh mit deinen Leuten nach Hause. Begrabt eure Toten.«
Gmund lachte. Gerla musterte den Häuptling mit einem Blick, als hätte sie Ungeziefer vor sich.
»Du hast keine Ahnung, mit wem du sprichst, Gewöhnlicher«, flüsterte sie abfällig. »Nennst mich Mädchen, als wäre ich deine Tochter.« Sie lachte hell auf. Einige Tráunakrieger stimmten zögernd in ihr Gelächter ein.
»Ich bin eine Herrin der Geister! Für dich bin ich eine Göttin.«
Sie spuckte dem Häuptling ins Gesicht. »Und das war gerade eine größere Ehre, als du verdienst.«
Sie hob den Kopf und blickte Kmaun ins Gesicht, der sofort die Augen niederschlug.
»Habt ihr all ihre Vorräte?«
Kmaun nickte und zeigte auf ein paar Krieger, die gerade Ledersäcke und Tonbehälter voll mit Dörrfleisch und getrockneten Pilzen davontrugen.
»Die Hütten sind leer.«
»Worauf wartet ihr dann noch?«, meinte Gmund, der nun ebenfalls herangekommen war. »Sortiert die Gefangenen! Behaltet nur die, die arbeiten können. Den Rest …« Er machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung des Sees.
»Beginn mit dem hier«, sagte Gerla und wies auf den Ata Häuptling. »Ich mag sein Gesicht nicht.«
Die beiden wandten sich ab. Kmaun grinste und zog sein Messer. »Der große Häuptling der Ata … Und was bist du jetzt, Alterchen?«, murmelte er und hielt dem Häuptling die Klinge an die Kehle.
»Nicht! Lasst ihn«, brüllte der blonde Ata.
»Ich verrate dir die Antwort«, sagte Kmaun unbeeindruckt. »Du bist der Erste von euch, den ich abstech.«
Er verstärkte den Griff um sein Messer … In diesem Augenblick wurde er herumgerissen und stieß einen überraschten Schrei aus. Sein Messer fiel in den Schnee, ohne einen einzigen Blutstropfen gesehen zu haben.
Gmund und Gerla verharrten und wandten sich verdutzt zu ihm um.
»Was soll das Geschrei?«, rief Gmund ungehalten.
Kmauns Arm brannte wie verrückt. Als er die schmerzende Stelle berührte, war seine Hand voller Blut. Gerla kniff die Augen zusammen und lief auf ihn zu.
»Was war das?«, fuhr sie ihn an. »Wie ist das passiert?«
Kmaun wandte sich um. Er erkannte einen langen Pfeil, der neben ihm im Schnee steckte, umgeben von einem Hof unzähliger, winziger Blutstropfen. Verwirrt bückte er sich und zog den Pfeil aus dem Schnee.
»Jemand hat auf ihn geschossen«, sagte Gmund.
Kmaun wollte etwas sagen – aber plötzlich spürte er ein seltsames Kribbeln auf seinen Lippen. Seine Zunge fühlte sich merkwürdig taub an.
Er sah auf und blickte zu Gmund und Gerla hinüber. Ein röchelnder Laut kam ihm über die Lippen, als er versuchte, Worte zu artikulieren.
»Sprich gefälligst deutlich«, befahl Gmund.
Kmaun wollte Luft holen, aber die seltsame Taubheit war über seinen Hals gekrochen und hatte sich auf seinen Brustkorb ausgebreitet. Er versuchte, ihn auszudehnen und frische Luft in seine Lungen fließen zu lassen, aber seine Atemmuskeln verweigerten ihm den Dienst.
Seine Beine knickten unter ihm weg und er fiel in den Schnee.
»Was soll das?«, rief Gerla verärgert. »Führ dich nicht so auf oder du wirst mich kennenlernen.«
Kmaun rang verzweifelt nach Luft. Er konnte sich nicht bewegen. Speichel rann ihm aus dem Mund. Er wollte schreien, aber es ging nicht. Er sah die teilnahmslosen Gesichter der Zwillinge über ihm. Sie begannen rasch zu verschwimmen, als sein Herz ein paar letzte, schmerzhafte Sprünge machte.
*
»Er ist tot«, sagte Gmund befremdet und schüttelte den Kopf.
Gerla riss Kmaun mit angeekelter Miene den Pfeil aus der steifen Faust.
Vorsichtig roch sie an der Spitze.
»Vergiftet«, zischte sie und warf den Pfeil in den Schnee.
In diesem Augenblick durchschnitt ein weiterer Aufschrei die Luft. Der Tráuna, der den langen Atakrieger bewacht hatte, starrte ungläubig auf den Schaft eines Pfeils, der ihm aus der Brust ragte, ehe er mit einem erstickten Keuchen zusammenbrach.
Gerla stieß
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