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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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einen schrillen Schrei aus.
    »Wer war das?«
    »Da! Da oben«, schrie irgendjemand.
    Die Blicke der Tráuna und der gefangenen Ata wanderten zum Waldrand.
    Die massige Gestalt eines Wisentbullen trat aus dem Wald hervor. Das riesige Tier warf seinen gehörnten Schädel hin und her und schnaubte bedrohlich. Auf seinem Rücken thronte eine schwarze Gestalt mit zotteligem Fell. Ihre furchterregende Raubtierfratze bestand nur aus blanken Knochen.
    Ängstliches Murmeln wurde unter den Tráunakriegern laut.
    »Es ist Ata«, rief einer der Krieger plötzlich. »Ata ist gekommen, um sein Volk zu rächen!«
    »Sei still oder ich stech dir deine feigen Augen aus«, rief Gerla.
    Gmund kniff die Augen zusammen. »Was ist es dann?«
     
    *
     
    Meine Hände zitterten leicht, als sich sämtliche Augenpaare Ataheims auf mich richteten.
    Eigentlich war ich noch viel zu überrascht, dass die Sache mit dem Wisent tatsächlich funktioniert hatte, um mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Vor drei Jahren hatte ich das Vertrauen dieses Bullen gewonnen und nach all der Zeit hatte er mich tatsächlich wiedererkannt und mir erlaubt, auf seinen Rücken zu klettern – anstatt mich auf die Hörner zu nehmen, was er sonst zweifellos getan hätte.
    Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich bis zum Einbruch der Dunkelheit gewartet, um anzugreifen. Aber Rainelf hatte recht behalten. Ich hatte keine Zeit, um zu warten. Sie waren gerade drauf und dran, meine Leute abzuschlachten, als ich ankam. Ich war gezwungen einzugreifen, auch wenn ein Teil von mir es durchaus genoss, zuzusehen, wie Weyref Tritt um Tritt kassierte.
    Zumindest schienen die Tráunakrieger keine Bögen zu haben, sonst würde ich wohl nicht mehr hier sitzen. Hinter mir im Wald hörte ich das nervöse Schnauben der beiden Kühe und des halbwüchsigen Bullen. Sie würden dem Einohrigen folgen, egal, wo er hinlief.
    Ich seufzte und vergrub meine Hände fest in den drahtigen Winterpelz des Wisents.
    Je länger wir stehen blieben, desto weniger würden mich die Tráuna für einen wilden Berggeist halten.
    Ich hatte ungefähr achtzig Tráunakrieger im Dorf gezählt – und diese unheimlichen Wanifen Zwillinge, die sich mit ihren Stäben und der seltsamen Kleidung deutlich von den anderen Tráuna abhoben.
    Wenn mein Plan funktionieren sollte, dann brauchte ich die Hilfe der Gefangenen. Alles, was ich ihnen bieten konnte, war eine Ablenkung, mehr nicht.
    »Ich hoffe, du bist bereit, Einohr, weil, ich bin’s ganz und gar nicht«, murmelte ich zitternd.
    »Ata«, brüllte ich so tief ich konnte. Mein Ruf wurde von den Bergen am anderen Ufer des Sees zurückgeworfen. »Kämpft um eure Freiheit!«
    Ich wartete nicht darauf, dass etwas geschah. Ich sah nicht mehr hinunter. Jeder Augenblick, den ich jetzt verstreichen ließ, würde mir mehr und mehr von meinem Mut nehmen.
    »Los jetzt, Einohr!«
    Der Wisent brüllte auf und sprang so schnell nach vorn, dass ich gerade noch die Arme um seinen Hals schlingen konnte. Hinter mir hörte ich das Schnauben der drei anderen Wisente, die hinter uns den Hang hinunterdonnerten. Schnee stob zur Seite. Aufgeregte Schreie ertönten. Wir durften nicht mitten in die Gefangenen hineinreiten. Sie wären die Ersten, die zertrampelt würden. Ich versuchte aufzublicken, ohne den Halt zu verlieren …
    Auf der Dorfwiese war Chaos ausgebrochen. Die Menschen rannten wild durcheinander. Weiter hinten erkannte ich Frauen, die ihre Kinder auf die Stege zerrten, um sie in Sicherheit zu bringen.
    Da unten war tatsächlich ein Kampf ausgebrochen. Ich konnte nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden, aber es war zu spät, um abzudrehen. Die Wisente preschten bereits über die heruntergebrannten Reste des Zauns hinweg. Ich duckte mich mit einem erschrockenen Keuchen, als ein Speer haarscharf über meine Schulter hinwegzischte. Ein riesenhafter Tráunakrieger tauchte vor uns auf. Mit einem überraschten Schrei hob er seinen Speer, aber es war zu spät … Die gewaltigen Hörner des Einohrigen schleuderten ihn zur Seite. Weitere Aufschreie erklangen von denen, die unter die Hufe der anderen Wisente gerieten. Plötzlich stand unmittelbar vor uns ein weinendes Kind im Schnee, ein etwas älteres versuchte vergeblich, es aus der Bahn zu zerren.
    »Nach links«, schrie ich. Der Wisentbulle schlug einen Haken und schaffte es knapp, dem Kind auszuweichen. Ein Atajäger brachte sich mit einem verzweifelten Sprung in Sicherheit. Da! Eine Gruppe von etwa zehn

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