Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
Vom Netzwerk:
Tráunakriegern … Sie rannten zu den Stegen, auf denen die Frauen und Kinder Schutz gesucht hatten. »Hol sie dir!«
    Mit einem tiefen Grunzen wandte sich Einohr nach rechts und brach wie ein Berserker durch die Gruppe der Tráunakrieger. Überraschtes Kreischen erschallte. Ich schloss die Augen, aber ich spürte ein deutliches Ruckeln, als der Wisent über etwas Weiches hinwegtrampelte.
    »Flieht«, brüllte jemand, »flieht, Tráuna! Atas Zorn ist über uns gekommen.«
    Ich blickte mich um. Tatsächlich! Die Tráunakrieger gaben ihre Mann gegen Mann Kämpfe einen nach dem anderen auf und suchten ihr Heil in der Flucht. »Jagt sie«, flüsterte ich dem Wisent in sein unversehrtes Ohr. »Damit sie niemals wiederkehren.«
    Der Wisent schnaubte und folgte den davonstürmenden Tráuna den Hang hinauf, bis der Wald uns verschluckte.
    »Warte«, sagte ich und wandte mich um.
    Zwischen den Baumstämmen konnte ich die völlig zertrampelte Dorfwiese erkennen. Die letzten Kämpfe hatten aufgehört. Ein paar vereinzelte Tráunakrieger rannten noch in Richtung des Waldrands.
    Die unversehrten Ata halfen den Verletzten auf die Füße. Ich erkannte meinen Vater, der sich verwirrt umblickte. Andra fiel einem humpelnden Weyref um den Hals. Einige regungslose Gestalten lagen am Boden. Der Schnee um sie herum hatte sich blutrot gefärbt. Die meisten waren Tráunakrieger, aber nicht alle.
    Es war unmöglich, von hier oben die Identität der gefallenen Ata festzustellen. Eine furchtbare Ungewissheit ergriff von mir Besitz. Ich kannte jeden in Ataheim, aber ich hoffte trotzdem, es war niemand unter den Opfern, den ich näher kannte so wie Alfanger.
    Während des Kampfes hatte ich ihn nirgends gesehen.
    Die Ata schienen für den Moment in Sicherheit zu sein. Ich beschloss, den Tráuna noch ein wenig zu folgen, um sicherzugehen, dass sie nicht zurückkehrten.
    »Komm, Einohr.«
    Die Wisente trotteten tiefer in den Wald hinein. Weiter vorn konnte ich die wehenden Pelzmäntel der flüchtenden Tráuna erkennen. Ich stieß ein tiefes Röhren aus, um sie noch mehr zu ängstigen. Unfassbar, wie gut das alles funktioniert hatte. Ich hatte beinahe im Alleingang eine ganze Horde von Tráuna in die Flucht geschlagen.
    Wie aus dem Nichts wuchsen zwei Gestalten vor uns aus dem Boden. Zwei Stäbe wurden in die Luft gerissen.
    Der Wisent brüllte ängstlich auf und begann zu bocken. Ich wurde von seinem Rücken geschleudert und landete mit einem überraschten Keuchen im Schnee.
    Ich wälzte mich auf den Bauch und erkannte aus den Augenwinkeln, wie die Wildrinder panisch zwischen den Bäumen verschwanden.
    »Was haben wir denn hier, Gerla?«
    Ich rappelte mich auf, so schnell es ging. Mein Bogen? Ich brauchte meinen Bogen! Wieso hing er nicht mehr auf meinem Rücken? Ich sah den Eibenbogen in einigen Schritten Entfernung im Schnee stecken. Ich musste ihn bei meinem Sturz verloren haben.
    Ich starrte durch die Löcher meiner Knochenmaske. Zum ersten Mal sah ich die Wanifenzwillinge der Tráuna aus der Nähe. Der Junge wirkte gepflegt und sauber. Er trug eine ärmellose Jacke aus Hermelinfell und eine dunkle Hose aus Hirschleder. Ein spöttisches Lächeln lag auf seinen weichen Gesichtszügen.
    Seine Schwester erinnerte mich eher an den Streuner. Ihre dunklen Augen fixierten mich mit lauerndem Blick. Dreck klebte unter ihren langen Fingernägeln, an denen sie aufgeregt herumkaute. Ihr Lederhemd war löchrig und von Flecken übersät.
    »Das ist kein Geist, Gmund«, zischte Gerla und neigte den Kopf zur Seite. »Aber was ist er?«
    Ich wusste nicht, warum, aber ich war überzeugt, sie war die Gefährlichere der beiden.
    »Für mich spielt das keine Rolle«, meinte Gmund noch immer lächelnd. »Ich schlage vor, wir spielen ein bisschen mit ihm und bringen ihn dann zu Jewas.«
    Gmund schwenkte seinen Stab locker durch die Luft.
    Ich spürte einen kühlen Hauch, dann riss etwas mein Bein zur Seite und ich stürzte mit einem erschrockenen Keuchen zu Boden.
    Gmund lachte amüsiert.
    Wieso war ich nur so blöd gewesen? Ich hatte meinen Stab im Wald versteckt, dort, wo ich den Wisenten begegnet war. Ich konnte Kaukets Kopfschütteln regelrecht vor mir sehen. Aber mit dem Stab in meinen Händen hätte ich unmöglich den Wisent reiten können, geschweige denn, Pfeile auf die Tráuna abschießen.
    Was auch passierte, ich durfte sie nicht mein Handgelenk sehen lassen. Wenn diese beiden herausfanden, wer mein Seelengeist war …
    Gerla marschierte auf mich zu,

Weitere Kostenlose Bücher