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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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ohne den Blick auch nur einen Augenblick von mir zu nehmen. Sie drückte mir die Spitze ihres Fichtenstabs gegen die Gurgel.
    »Wer bist du?«, fragte sie scharf. »Kein normaler Mensch reitet einen Wisent. Bist du ein Wanife?«
    »Sei nicht dumm, Gerla«, sagte Gmund mit einem abfälligen Lachen. »Hast du jemals einen Wanifen ohne seinen Stab gesehen? Das wäre der schlechteste Wanife, den es je gegeben hat.« Ich ballte vor Zorn die Fäuste.
    »Ich will wissen, wer du bist«, rief Gerla mit schriller Stimme.
    Ich schwieg … Noch schützte mich Kaukets Maske, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass ich den beiden ausgeliefert war.
    »Du widersetzt dich mir also«, flüsterte sie.
    Gerla machte einen Schritt zurück und deutete mit dem Stab auf mich. Ein bohrender Schmerz drang in meinen Oberarm und ich stöhnte auf. Eine warme, klebrige Flüssigkeit rann meinen Arm hinunter. Verdammt! Waren ihre Geister so mächtig, dass sie mich sogar verletzen konnten?
    »Sprich, Abschaum«, schrie Gerla mit weit aufgerissenen Augen.
    Ich stand auf und stellte mich breitbeinig hin, damit mich ihr nächster Geisterangriff nicht so leicht aus dem Gleichgewicht bringen konnte.
    Mein Bogen war noch immer außer Reichweite, einige Meter hinter den Zwillingen sah ich sein rötliches Holz aus dem Schnee emporragen.
    Ich musste sie irgendwie an der Nase herumführen. Aber wie? Was würde Kauket in so einer Situation sagen?
    »Was seid ihr, Wanifen der Tráuna?«, fragte ich mit künstlich tiefer Stimme, die durch die Knochenmaske hindurch noch dumpfer wirkte. »Nichts als Kinder, die mit dem Feuer spielen!«
    Gut, das war sicher nicht das, was Kauket in meiner Situation getan hätte, aber irgendetwas musste ich ja schließlich tun. Gerla hob ihren Stab.
    »Du willst mich zum Schweigen bringen? Dabei bin ich, was ihr selbst heraufbeschworen habt«, improvisierte ich.
    Gerla erstarrte und kniff die Augen zusammen. Gmund wirkte irritiert.
    In Ordnung … spätestens jetzt brauchte ich eine gute Geschichte, etwas, das diese Irren daran hindern würde, mich hier und jetzt in Stücke zu reißen.
    »Ja! Ihr habt mich gerufen …« Ich breitete die Arme aus. »Ich bin der Geist …«
    Tja, das war eine wirklich gute Frage. Welcher? Diese beiden kannten die Geisterwelt sicher besser als ich. »Der Geist … von dem niemand spricht, der Rachegeist, der euch zur Rechenschaft zieht – für euren Mord.«
    Gmund und Gerla starrten mich mit großen Augen an. Es fiel mir schwer, ihre Mienen zu deuten.
    Plötzlich begann Gerla zu kichern, zuerst leise, dann immer lauter, bis ihr Kichern zu einem durchdringenden Lachen angewachsen war. Gmund musterte seine Schwester, als hätte sie den Verstand verloren.
    »Was ist?«, fragte er ungehalten.
    Gerlas glasige Augen fixierten mich. Spätestens jetzt erkannte ich den Wahnsinn in ihrem Blick.
    »Ganz allein, mit nicht einmal einem Stein, um dich zu wehren …«, ihr Lachen erstarb allmählich, »und versuchst, uns zu erschrecken?«
    Ich dachte nicht lange nach – es erschien mir das einzig Richtige in dieser Situation, besser zumindest, als darauf zu warten, dass sie mich wieder angriffen. Gmund stand etwas näher und etwas sagte mir, dass er der leichtere Gegner war.
    Mit einem kräftigen Satz sprang ich ihn an. Er wandte sich mir zu. Überraschung breitete sich auf seinem bartlosen Gesicht aus. Ich riss ihn zu Boden – und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht.
    Gmund stieß ein schmerzerfülltes Röcheln aus. Ich packte seinen Arm und bog ihn fest über mein Knie, damit er seinen Stab fallen lassen musste.
    Geschafft!
    Alles, was ich jetzt noch tun musste, war, mir seinen Stab zu schnappen und …
    Etwas bohrte sich in meine Schultern und riss mich zurück. Ich segelte ein Stück durch die Luft und landete mit einem erstickten Schrei im Schnee.
    Der Aufprall trieb mir die Luft aus den Lungen. Schwarze Schlieren vernebelten mir für einen Augenblick die Sicht. Mein Kopf dröhnte.
    Langsam klärte sich mein Blickfeld wieder, aber etwas fehlte – die Maske. Der Sturz hatte mir Kaukets Knochenmaske vom Gesicht geschleudert. Gerlas wildes Fuchsgesicht schwebte über mir. Sie hatte ein langes Messer gezogen, das sie mir an die Kehle drückte.
    »Das ist also das Gesicht eines Rachegeists«, flüsterte sie grinsend. Irgendwo hinter uns konnte ich Gmunds Stöhnen hören. Gerla schenkte ihm keine Beachtung.
    »Ganz allein, du kleines Biest, nicht wahr?«, spottete sie, während sie mit der

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