Die Wanifen
sich nahm, hörte auf zu frieren und begann, die Erkältung auszuschwitzen.
Plötzlich hörte sie knarzende Schritte, die sich ihr vom Steg her näherten. Sofort hielt sie in ihrer Tätigkeit inne. Ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Endlich!
Das Wisentfell am Eingang wurde zurückgeschlagen und Alfanger betrat die Hütte. Ainwa fühlte sich wie gelähmt. Sie wagte nicht, aufzuspringen und dem alten Heiler entgegenzulaufen.
Alfanger kam langsam auf sie zu und setzte sich ihr mit einem tiefen Stöhnen gegenüber auf sein Felllager. Sein Rücken bereitete ihm seit einigen Jahren Probleme. Immer, wenn er Schmerzen hatte, verspürte sie den seltsamen Drang, ihre Fingerkuppen auf ganz bestimmte Stellen seines Rückens zu drücken – aber mittlerweile war sie sehr gut darin geworden, derartige Eingebungen stur zu ignorieren. Nur, was das Auge sehen und die Hand berühren kann …
»Und?«, fragte sie heiser.
Alfanger räusperte sich und musterte sie mit seinen hellen Augen. Ainwa wusste nicht, was ihn in den vergangenen Wochen so beschäftigt hatte. Er wirkte blass, und jedes Mal, wenn er sie ansah, hatte Ainwa das Gefühl, er würde gleich in Tränen ausbrechen. Ständig murmelte er irgendetwas davon, dass der Blutmond bevorstand und was immer das bedeuten mochte, es schien ihm große Sorgen zu bereiten.
Ainwa hatte es ihm übel genommen, dass er über dieses seltsame Brüten völlig vergessen zu haben schien, wie wichtig dieser Tag für sie war.
»Ja …«, sagte Alfanger abwesend. »Ainwa, bevor wir darüber reden, es gibt etwas, das noch viel …«
Ainwa brachte ihn mit einer entschiedenen Geste zum Schweigen. »Ich werde nicht noch länger warten! Raus damit!«
Alfanger senkte den Blick. »Gut, aber, wenn ich es dir erzählt habe, Ainwa, da gibt es noch etwas, etwas, das …«
»Bitte«, sie ergriff Alfangers Hände und drückte sie fest. »Du weißt, was für ein Leben ich in letzter Zeit geführt habe. Lass es nicht länger dauern als nötig.«
Alfanger löste sich aus ihrem Griff und lehnte sich ein wenig zurück. »Heute … im Licht der ersten Sonne, hat sich Gorman dem Rat präsentiert und sie darum gebeten, ihn zum neuen Häuptling der Ata zu ernennen.«
»Und?« Sie fühlte sich, als müsste sie vor Neugier platzen.
»Traditionell schlägt der alte Häuptling die Prüfung vor, die der junge Anwärter erfüllen muss, um die Häuptlingsehre zu erlangen. Galsinger schlug vor, Gorman sollte ihnen das Fell eines Bären bringen.«
Ein Bärenfell! Schwierig … Aber es hätte schlimmer kommen können. Gorman würde damit fertig werden. Sie atmete auf.
»In seinem Gesicht konnte ich erkennen, wie Gorman sich über diese Aufgabe freute. Er wollte Galsinger unbedingt seinen Mut beweisen, aber die Art der Prüfung muss von den anderen Ratsmitgliedern abgesegnet werden. Normalerweise akzeptieren sie den Vorschlag des Häuptlings, aber diesmal …«
»Was?«
»Außer mir war niemand mit dieser Prüfung einverstanden und es muss eine Mehrheit geben. So wurde der nächste Vorschlag unterbreitet, diesmal von Trungbert, Weyrefs Vater.«
Ihr Mut sank.
»Trungbert meinte, für einen großen Jäger wie Gorman sei es nicht schwer, einen Bären zu erlegen. Er meinte, ein zukünftiger Häuptling müsse sich dort beweisen, wo er schwach ist.«
»Was hat er damit gemeint?«
Alfanger seufzte und blickte ihr tief in die Augen. »Trungbert schlug Gorman eine neue Prüfung vor: Wenn Gorman die Häuptlingsehre erlangen will, dann muss er Ainwa, die Hexe, aus dem Dorf verbannen.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Sie hatten es gewusst! Sie hatte keine Ahnung, woher oder warum, aber sie wussten, dass sie und Gorman sich heimlich getroffen hatten, trotz ihres Verbots. Und das war die Strafe … Sie wollte etwas sagen, aber die Worte blieben ihr in der Kehle stecken.
»Drei der Mitglieder stimmten für Trungberts Vorschlag. Nur dein Vater und ich waren dagegen, damit war es beschlossen.«
Das Blut wich ihr spürbar aus dem Gesicht. Sie stand auf und schlang die Arme um ihren Körper.
»Was für verbitterte … alte Männer«, murmelte sie. »Wenn ich nur wüsste, warum sie mich so hassen.«
Es wäre einfach zu schön gewesen, um wahr zu sein. Jetzt würde sich doch nichts für sie ändern, gar nichts. Das Einzige, was ihnen blieb, war ihr Versteck am Ufer des kleinen Sees.
Sie wandte sich wieder Alfanger zu. »Es ist ungerecht! Niemand wäre ein besserer Häuptling als Gorman. Und jetzt zwingen sie
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