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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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die Hände auf ihre Ohren. Der Waldboden unter ihren Füßen zitterte.
    Sie richtete sich wieder auf.
    »Geh weg! Geh weg«, brüllte sie mit sich überschlagender Stimme.
    Wieder zerriss das Brüllen die Stille. Ein gewaltiger Luftzug fegte Ainwa von den Füßen. Sie lachte und stemmte sich wieder in die Höhe.
    »Nur zu! Töte mich, wenn du dich traust, du erbärmliches Ding.«
    Dunkle Wolken verdeckten die Sonne. Ainwa wurde von einem weiteren Stoß niedergeworfen.
    Sie ergriff einen kleinen Stein. Wieder stemmte sie sich hoch.
    »Geh weg«, schrie sie und schleuderte den Stein auf den See hinaus. Tatsächlich prallte er unmittelbar vor ihr gegen ein unsichtbares Hindernis und fiel zu Boden.
    »Ich hasse dich«, brüllte sie, während ihr Tränen auf den Wangen brannten. »Ich hasse dich!«
    Sie warf noch einen Stein auf das unsichtbare Ding vor ihr. »Lass mich in Frieden und komm nie, nie zurück. Verschwinde endlich aus meinem Leben!«
    Der Wind tobte immer stärker. Ein dröhnendes Brüllen erklang, so tief und mächtig, dass Ainwa sehen konnte, wie die vertrockneten Fichtennadeln am Grund zu vibrieren begannen.
    Und dann war es vorbei …
    Stille …
    Totenstille.
    Sie kauerte zitternd am Boden. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit war sie wirklich allein.
    Rainelf starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an. »Du hast was getan?«
    Ich betrachtete angestrengt ein paar Fuchsspuren im Schnee. Rainelf und ich waren inzwischen zu einer kleinen Waldlichtung hinaufgestiegen, damit wir nicht zufällig von den Ata entdeckt wurden, die die Gegend nach flüchtenden Tráuna absuchten.
    »Ich hatte keine Ahnung. Ich habe dieses unsichtbare Ding nie mit meinem Seelengeist in Verbindung gebracht, aber je länger ich darüber nachgedacht habe …«
    Ich machte eine vage Handbewegung.
    Rainelf seufzte und ließ sich auf einem umgestürzten Baum nieder.
    »Wieder einmal kann ich kaum glauben, dass du das überlebt hast. Du hast den Zorn dieses ungeheuer mächtigen Geschöpfs auf dich gezogen. Unter normalen Umständen hätte er dich getötet.«
    »Vielleicht hätte er genau das tun sollen«, murmelte ich. »Dann wäre das mit Gorman nicht passiert.«
    Rainelf musterte mich abschätzend.
    »Du sagst, dein Bruder hat dich im Stich gelassen und doch hat er dich einen Tag später begleitet? Hat sogar das Blut mit dir getauscht? Da muss doch noch mehr sein. Was ist damals passiert?«
    »Das ist jetzt nicht wichtig«, wehrte ich ab. »Ich muss das Band zu Ata wieder herstellen. Wo finde ich ihn?«
    »Wenn du dich Ata jetzt näherst«, sagte Rainelf, »nachdem, was du getan hast, wird er dich in Stücke reißen.«
    »Aber ich muss doch etwas tun können! Irgendetwas verbindet uns noch immer. Das Geistzeichen auf meinem Handgelenk ist noch da«, rief ich und streckte ihm meinen Arm entgegen.
    »Tut mir leid, Ainwa, ich weiß es nicht. Und ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der dir einen Rat geben kann, es sei denn …« Er starrte für einen Moment angestrengt auf einen Punkt hinter mir.
    »Nein«, meinte er schließlich kopfschüttelnd. »Dazu müsste man erst wissen, wo einer lebt …«
    »Wovon redest du?«
    Rainelf lächelte vorsichtig.
    »Vergiss, was ich gesagt habe. Ich habe an einen Tatzelwurm gedacht. Tatzelwürmer sind blind, aber sie können Gedanken lesen und nehmen Dinge wahr, die noch nicht geschehen sind. Wenn dir jemand sagen kann, wie du deinen Weg zurück zu Ata findest, dann ein Tatzelwurm.«
    »Heißt das, Tatzelwürmer können sprechen?« »Natürlich«, meinte Rainelf in einem Tonfall, der mich etwas an Kauket erinnerte. »Aber es spielt sowieso keine Rolle. Zum einen sind Tatzelwürmer Geister mit sehr schnell wechselnden Stimmungen und es kann leicht passieren, dass sie dich angreifen. Zum anderen leben sie in Höhlen, manchmal auch in Mooren und sind sehr, sehr selten. Es könnte Monate dauern, einen zu finden.«
    Ich lächelte und streckte Rainelf die Hand hin. Als er sie verwirrt ergriff, zog ich ihn mit einem kräftigen Ruck in die Höhe.
    »Wenn ich dir sagen würde, ich weiß, wo einer lebt, würdest du mich dann begleiten?«

Kapitel 15
    Vater der Olme
     
     
     
    R ainelf und ich kämpften uns mühsam durch den kniehohen Schnee Richtung Weytaklamm – das heißt, ich kämpfte, er lief so leichtfüßig über die Schneedecke, als wäre er ein Schneehase.
    Es war noch sehr früh am Morgen. Nachdem uns tags zuvor im Wald die Nacht überrascht hatte, hatten wir Unterschlupf unter einem

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