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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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Messerspitze langsam über meine Kehle fuhr. Ihr Gesicht nahm einen gespielt teilnahmsvollen Ausdruck an. »Niemand kommt und rettet dich, niemand hört dein Schreien … Ich lass dich ausbluten, ganz langsam. Zuerst spürst du nichts. Dann wirst du müde, immer müder, je mehr vom Lebenssaft dir aus den Adern fließt.«
    Sie brachte ihre geheuchelt mitleidsvolle Miene noch näher an mein Gesicht heran. Der Druck auf meine Kehle verstärkte sich.
    »Ist das nicht ungerecht? Hast versucht, sie zu retten und jetzt stirbst du … Und niemand kommt für dich. Ganz allein.«
    Zuerst dachte ich, meine Augen würden mir einen Streich spielen. Gerla erschrak und wurde mit einem zornigen Aufschrei zurückgerissen.
    Das Messer ritzte über meine Haut … dann wich der Druck von meiner Kehle.
    Ich keuchte auf und griff mir an den Hals.
    »Sie ist nicht allein!«
    Sofort sprang ich auf und blickte mich um.
    Rainelf stand neben mir und hatte seinen Lärchenstab drohend auf Gerla gerichtet. Er fixierte sie kühl. Die Haut um seine Augen hatte er mit Ruß geschwärzt, was deren Helligkeit noch unterstrich. Sein weißes Haar verschmolz völlig mit dem winterlichen Wald.
    Gerla richtete sich wutschnaubend auf, während Gmund sich noch immer stöhnend im Schnee wälzte – wie ich mit einer gewissen Genugtuung feststellte.
    »Dafür wirst du bezahlen, Wieselmann«, zischte Gerla und hob ihren Stab.
    »Das würde ich an deiner Stelle lassen«, sagte Rainelf. »Nicht sie ist es, die allein steht«, meinte er mit einem Seitenblick auf mich, »sondern du.«
    Rainelf wandte sich mir zu. »Heb deinen Stab auf, Ainwa.«
    Ich warf Rainelf einen verblüfften Blick zu. »Meinen …?«
    Rainelf sah auf eine Stelle zu meinen Füßen und nickte mir auffordernd zu. Tatsächlich! Eigentlich war es unmöglich, aber da lag er … direkt vor meinen Füßen – mein Eibenstab.
    Rasch hob ich ihn auf.
    »Du …«, flüsterte Gerla. »Du bist die …«
    »Nimm deinen Bruder und verschwinde von hier«, rief Rainelf. »Das Volk der Ata wird gut beschützt. Das nächste Mal wird man euch töten.«
    Gerla stieß ein wütendes Zischen aus. Sie wirkte auf mich wie ein Tier, das man in die Enge getrieben hatte.
    »Soll ich unsere Krieger zu Hilfe rufen und dich ihrer Gnade überlassen?«, fragte Rainelf mit hochgezogenen Augenbrauen.
    Gerla warf Rainelf einen hasserfüllten Blick zu und wandte sich dem stöhnenden Gmund zu.
    »Steh auf«, rief sie barsch.
    Gmund tastete nach seinem Stab und zog sich an ihm in die Höhe. Das rechte Auge seines hübschen Gesichts war völlig zugeschwollen. Ich grinste, als ich sein wütendes Gesicht bemerkte.
    »Ihr fühlt euch jetzt stark, aber ihr habt keine Ahnung, mit wem ihr euch angelegt habt«, rief Gerla uns zu. Sie deutete mit ihrem Stab auf Rainelf.
    »Wir sehen uns wieder und dann reiß ich dir die Haut vom Knochen.« Sie senkte ihren Stab und wandte sich mir zu. Ein unheimliches Lächeln breitete sich auf ihrer Miene aus.
    »Und du … du findest dein Ende, eher, als dir lieb ist, kleiner Wurm.«
    Sie drehte sich ruckartig um und stapfte davon, ohne auf Gmund zu warten, der ihr, so schnell er konnte, hinterherhumpelte.
    Wir warteten, bis sie außer Sichtweite waren.
    Rainelf seufzte und schlug seine weiß bewimperten Lider nieder. Er entspannte sich etwas.
    Ich musterte ihn, noch immer völlig fassungslos, dass er gekommen war, dass er mir sogar meinen Stab gebracht hatte.
    »Wieso bist du hier?«, fragte ich.
    Rainelf sah mir nicht ins Gesicht.
    »Lass mich deine Wunden versorgen.«
    Er begann, mir den Fellmantel auszuziehen. Ich ließ es widerstandslos geschehen, obwohl mich die Situation auf unangenehme Weise an mein Zusammentreffen mit den Quellwichten erinnerte. Das neue Faserhemd, das ich unter der Jacke trug, war an meiner rechten Schulter und meinem linken Oberarm blutgetränkt. Ich zog es aus und begann zu zittern, als ich die Winterkälte auf meiner Haut spürte.
    Rainelf begutachtete beide Wunden. Sie sahen aus, als hätten sich riesige Klauen in mein Fleisch gebohrt, ähnlich wie bei der Wunde, die ich auf Kaukets Arm gesehen hatte.
    »Sie sind nicht tief«, sagte er erleichtert. »Sei froh, dass wir nicht auf einem Kraftplatz waren.«
    »Wieso bist du gekommen?«, wiederholte ich, während ich mich wieder anzog.
    Rainelf sah zwischen den Bäumen hindurch. Auch wenn man das Dorf von hier aus nicht mehr sehen konnte, hatte ich das Gefühl, er betrachtete es.
    »Ich bin zufällig vorbeigekommen«,

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